Der zweibändige Roman von Balladu ‚Tote brauchen keinen Himmel‘, ist ab sofort als E-Book verfügbar. Bis zum 4. Februar in einer Sonderaktion preiswert zu erwerben:
Band 1 für 4,99 €
Band 2 für 4,49 €
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Leseprobe zu Band 2 siehe Menüpunkt https://www.mensch0815.de/buecher-6-10/buch-10/leseprobe-b10-band-2/
Halle, Sonnabend 28. Januar 2017, 18 Uhr, Krug Zum Grünen Kranze
Die zwei Cremers, Mutter Susanne und Tochter Swenja sowie ihr Gastgeber Finley McAskill waren gerade fertig mit ihrem opulenten Menu:
‚Vorspeise für alle drei: Carpaccio vom Rinderfilet mit Basilikum-Pesto, Pinienkernen und einem Bergkäse,
den Hauptgerichten
für Susanne: Hirschroulade mit Meerrettich und Roter Bete in Zwiebelrahm dazu Speckrosenkohl und Kräuterkartoffeln,
für Finne: Knuspriger Gänsebraten mit Preiselbeer- Sauce, Apfelrotkohl und Kartoffelklöße dazu Marzipanbratapfel
und für Swenja: Wildschweinrücken mit Holunder- Portweinjus, Lorbeer- Birnen und Selleriepüree.
Nachspeise ebenfalls für alle drei: Orangen- Schokoladenmousse, Kumquat-Kompott, Zimtblüteneis und Spekulatius.‘
Der Tisch war bereits abgeräumt, als Svenjas Handy brummte. Die junge Frau griff in ihre Handtasche, legte das Teil auf den Tisch, erkannte den Anrufer, „da muss ich rangehen, entschuldigt mich kurz,“ und sie hielt das Handy ans Ohr, „ja Lew?“ Sie lauschte einen Moment, „warte mal einen Augenblick,“ wandte sich ihrer Mutter zu, „Lewan ist vorzeitig aus Tiflis zurück. Ich würde gern …“ sie brach ab und sah fragend zu ihrer Mutter.
Svenja saß nur hier zusammen mit ihrer Mutter, weil der Schotte McAskill sie beide zusammen im Goldenen Hahn in Merseburg kennengelernt und er sie danach zusammen für dieses Essen eingeladen hatte. Die drei saßen an einem Vierertisch im Krug Zum grünen Kranze, der unmittelbar an der Saale lag, direkt gegenüber der Burgruine Giebichenstein.
„Das erfährst du erst jetzt, dass dein Musikus kommt?“ Die Mutter sah ihre Tochter verständnislos an. Natürlich kannte sie den mittelgroßen 35-jährigen, gutaussehenden, sympathischen Georgier Lewan Taktakischwili mit fast glatten, schwarzen Haaren, der an der bereits seit 1964 existierenden ‚Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin‘, Komposition studiert hatte. Ihre als Bibliothekarin ausgebildete Tochter, hatte den jungen Mann vor zwei Jahren bei einer Benefizveranstaltung im ‚Händelhaus‘ in Halle kennengelernt. Susanne besann sich, dachte kurz nach, warf einen Blick auf Finne, der still lächelnd zwischen den beiden Frauen saß und scheinbar ruhig und gelassen abwartete, was jetzt weiter passieren würde.
Die Frage ignorierend sagte Swenja einfach, „Lew holt mich hier ab.“
‚Das hat das kleine Luder geplant,‘ schoss es Susn durch den Kopf, ‚hält die mich denn inzwischen für so alt oder prüde, dass sie glaubt mich unbedingt verkuppeln zu müssen? Laut bemerkte sie etwas zu gelassen, „wann sehe ich dich und deinen Komponisten?“
„Wir wollten euch beide,“ sie sah von ihrer Mutter zu McAskill und wieder zurück, „eigentlich ins Sonntagskonzert nächste Woche einladen,“ noch einmal sah sie hin und her, „wenn ihr Lust dazu habt. Die Staatskapelle Halle spielt Stücke von Aram Chatschaturjan, Prokofiev und Max Bruch,“ sie sah lächelnd zum Schotten, „ich glaube sogar die Schottische Fantasie.“
McAskill wollte mit leichtem Schmunzeln etwas erwidern, aber Mutter Cremer war schneller, „Lew soll dich holen,“ sie zeigte aufs Handy, „und er soll sich Zeit lassen …“
„Wir nehmen die Einladung sehr gern an,“ fügte der Schotte hinzu.
Nur fünf Minuten später betrat ein lässig gekleideter schwarzhaariger Mann mit leicht gebräunter Gesichtsfarbe das Lokal. Swenja sah sofort zur Tür, blieb aber ruhig sitzen.
Die Mutter war ihrem Blick gefolgt, und wusste nun definitiv, dass ihre Vermutung zutraf, ihre Tochter versuchte, ihr eine sturmfreie Wohnung zu verschaffen. Zuerst wollte sie eine spitze Bemerkung machen, doch das ließ sie schnell bleiben, weil einerseits in ihr eine noch unbestimmte frohe Erwartung aufstieg und sie andererseits in Finnes Augen einen schimmernden Glanz wahrnahm. Außerdem, das war wohl das Ausschlaggebende, wollte sie sich keine Blöße geben.
Inzwischen war Swenjas Freund an ihrem Tisch angekommen. „Hallo Susanne,“ er reichte der Frau seine Hand, wandte sich dem inzwischen aufgestandenen Schotten zu, „pleased to meet you Sir.“
„Likewise, und ich schlage das deutsche du vor,“ er wartete, bis der andere nickte, bevor er fortfuhr, „dein Vorname ist Lewan und ich vermute – du bist Armenier?“
„So wie sie … du … Engländer.“
„Also Russe denke ich eher weniger … ah … Georgier?“
„Right! Und ich weiß natürlich, dass du Schotte bist.“
„Ich bin Finne,“ erwiderte McAskill todernst.
„Ich dachte du bist Schot …“ er brach ab, weil er das breite Grinsen des Mannes sah, „ah, bin ich doch reingefallen, Revanche sozusagen?“
„Die beiden Männer,“ die Mutter nickte ihrer Tochter zu, „verstehen sich ja prachtvoll.“
„Wollen wir sie allein lassen?“ schlug Swenja vor und stand auf.
„‘Der glückliche Mann verliert seine Frau, der unglückliche sein Pferd.‘“
Die beiden Frauen sahen erstaunt zu dem jungen Mann auf.
„Altes georgisches Sprichwort,“ ergänzte er schnell, um die im Raum stehende Aussage, die ihn wohl im Nachhinein ebenfalls erschreckte, etwas zu entschärfen.
„Nichts im Leben begehrt – Mann – mehr,“ McAskill löschte mit seinen Worten den leisen Missklang, den Lews Spruch ausgelöst hatte, „als das, was ihn einerseits abrupt wegstößt, ihn ärgert, quält und wütend macht, und das ihn andererseits magisch anzieht, wie die Liebe zu einer Frau.“
„Wow!“ staunte Swenja, „von wem ist das Zitat?“
„Von einem – unbekannten alten Mann?“ antwortete der Schotte zurückhaltend.
Susanne sah nachdenklich zu Finne, schwenkte ihren Blick über Lew zu ihrer Tochter. „‘Es gibt ein Alter, in dem eine Frau schön sein muss, um geliebt zu werden. Und dann kommt das Alter, in dem sie geliebt werden muß, um schön zu sein‘, zitiert eine alte dumme Frau eine junge kluge.“
„Das klingt interessant. Komm Swenja,“ Lew hielt ihr seine Hand entgegen, „lass uns über den ersten Teil des Zitats allein diskutieren.“
„Richtig Lew, damit die zwei,“ sie nickte zu ihrer Mutter und Finne, „in Ruhe über den zweiten Teil nachdenken können.“ Die junge Frau ergriff, die ihr dargebotene Hand, und die zwei verschwanden mit einem kurzen Gruß stolzen Schrittes aus der Gaststätte.
„Ich finde beide Teile deines Zitats interessant, denn du bist auf keinen Fall alt…“
„… aber auch nicht mehr jung,“ unterbrach die Cremer. Beide setzen sich wieder an den Tisch.
„… außerdem denke ich,“ fuhr der Schotte nahtlos fort, „dass der zweite Teil wohl für alle Frauen gilt, auch wenn sich der Inhalt, der reale Ausdruck der Liebe verändert.“
„Das sehe ich ähnlich, Finne. Liebe, gerade in ihrer praktischen Form, stimuliert sowohl die Frau jeden Alters als auch den Mann. Sie lässt sie schöner erscheinen, macht ihn entschlossener und sorgt wohl bei beiden für höhere Aktivität.“
„Du bist eine kluge Frau Susanne,“ McAskill hob einen Widerspruch abwehrend eine Hand, „wenn ein Paar immer offen über die wichtigen Dinge redet, ohne tabu redet, dann hält sie das bis zum Tod in Schwung.“ Der Ton am Ende des Satzes ließ ein kleines Fragezeichen hören.
‚Meinst du damit auch Sex?‘ beinahe wäre ihr diese Frage herausgerutscht. ‚Hoffentlich meint er damit auch Sex,‘ hoffte die Cremer, ‚denn darauf habe ich in deiner Nähe mehr und mehr Lust,‘ dachte sie, aber das konnte sie so noch nicht aussprechen. Susn hob ihr volles Bierglas, das der Ober gerade abgestellt hatte, „auf den Sex …,“ die Cremer traf fast der Schlag, ‚hatte sie das etwa laut gesagt? Oh Gott!‘ „Entschuldige Finne.“ Beinahe wäre sie auch noch rot im Gesicht geworden.
„Wieso entschuldige? Susanne,“ der Mann lächelte sie an, „im Gegenteil, ich freue mich. Genau das ist doch auch damit gemeint, der Sex gehört zur Liebe, zum Leben dazu und ich denke seine Wichtigkeit nimmt im Alter keineswegs ab. Es verändern sich nur die Formen, die Art und Weise des Tuns von Sex.“
Die Cremer, immer noch auf- und angeregt, hätte beinahe das Glas auf Ex leergetrunken, fing sich aber schnell wieder, obwohl sie immer noch voller Ärger über sich selbst war, dass ihr dieser Satz unbewusst, ungewollt entschlüpft war. Sie setzte das fast leere Glas auf dem Tisch ab. ‚An sich war es wirklich nicht so schlimm, denn offensichtlich wollten sie ja beide Sex?‘
McAskill bemerkte natürlich die Erregung der Frau, war sich aber nicht sicher, was das für den weiteren Verlauf des Abends bedeutete. ‚Ärgert sie sich und macht dicht?‘ Er trank ein paar Schlucke, damit der Unterschied zu ihrem nicht ganz so deutlich ausfiel, denn sein Glas war noch fast voll. Als er es auf den Tisch stellte, war es so leer, wie das ihre. ‚Wie kann ich die Situation auflockern?‘ grübelte er, aber es fiel ihm nichts ein. ‚Vielleicht war ihre Erregung aber auch verbunden mit Lust auf Sex?‘ Plötzlich fiel ihm sein Besuch der Sitte-Galerie am Dom wieder ein, der höchstens erst einen Monat zurücklag. „Susanne, kennst du eigentlich den halleschen Maler Willi Sitte?“
‚Du bist tatsächlich klug Finne,‘ dachte die Frau, denn natürlich kannte sie den Maler Willi Sitte schon aus DDR-Zeiten und dessen erotische Bilder, in denen er fast alle sexuellen Positionen zwischen Mann und Frau dargestellt hat.
„Nein, sollte ich?“ fragte sie scheinheilig, „interessiert dich Malerei?“
„Ich interessiere mich für Literatur, Musik und Kunst und Malerei gehört auch dazu. In Merseburg gibt es die Willi-Sitte-Galerie und die habe ich mir angesehen.“ Er sah Susanne in die Augen, „die Bilder passen zu unserem Gespräch.“
„Inwiefern, Finne?“ Die Cremer sah den Mann mit großen Augen an.
„Aber davon ganz abgesehen. Ich bin dahin gegangen, weil ich empört war, wie Medien und Politiker in Halle und Umgebung mit dieser Künstler-Persönlichkeit umgehen. Sitte desertierte 1944 in Italien von der Wehrmacht und schloss sich italienischen Partisanen an. Das hat mir mächtig imponiert.“
„Und ich weiß, dass er an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle als Professor gearbeitet hat.“
McAskill sah die Frau erstaunt an, ‚hat sie also doch schon mal von Sitte gehört,‘ fuhr dann aber fort seine Gedanken weiter darzulegen, „ja und ich habe gelesen, dass er damals ein Vertreter der aufmüpfigen, eigenwilligen Kunstszene in Halle war, die Unabhängigkeit von Kulturfunktionären forderte.“
Die Frau legte Wärme in ihre Stimme. „Interessant, dass du, als Schotte, der die DDR gar nicht gekannt hat, das sagst.“
„Ich weiß aber auch, dass er sich nicht nur mit der DDR identifiziert, sondern sogar zum Partei Zentralkomitee gehört hat. Dennoch rechtfertigt das nicht die ideologische Vehemenz, mit der gegen Ausstellungen von Sitte und anderen DDR-Künstlern gewettert wird. Eine Schlagzeile in der Bild lautete: ‚Schließung von DDR-Gemäldeausstellungen gefordert!‘ Natürlich berufen sich die Redakteure auf offizielle Stellen, wie zum Beispiel die Dokumentationsstelle des Landes zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland. Die Beamten dort sind aggressiv, aber immer nur in eine Richtung. Mit einer derart durchgängigen Ablehnung jeglicher DDR-Kunst, macht sich diese Zeitung zum Sprachrohr reaktionärer politischer Kräfte und spielt damit in die Hände rechtslastiger Parteien und Organisationen.“
„Entschuldige Finne, aber was hat das alles mit Sex zu tun?“
Den Mann durchfuhr eine warme Welle der Zuneigung. Die Frau war phänomenal. Er hatte, während er sprach, das Gesicht seiner Gesprächspartnerin aufmerksam studiert und darin Zustimmung zu seinen Worten gelesen. Die Frau war offensichtlich keine Schwätzerin, aber diese Frage…
„Ja weißt du, Susanne,“ der Mann sah die Frau an und fuhr lächelnd fort, „das Beste wäre doch, wir besuchen zusammen diese Galerie?“
„Gute Idee Finne. – Wann?“
„Soviel ich weiß, ist die Galerie sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet, okay?“
„Abgemacht!“ Sie warf McAskill einen verschmitzten Blick zu, „dann können wir ja morgen zusammen nach Merseburg fahren?“
„Ich kann im Zimmer deiner Tochter schlafen?“ Das Lächeln im Gesicht des Mannes ersparte ihr eine Antwort.
„Prost!“ sagte sie, „auf Willi Sitte, seine Gemälde und auf unseren Besuch morgen.“
„Auf uns beide, prost.“
Sonntag, 29.1. 14 Uhr, Merseburg, Willi-Sitte-Galerie
„Das,“ McAskill nickte in Richtung der Zinkografie ‚Zu Hochzeitscherz von J. Ch. Günther‘, „die Sitte als Vorlage gedient hatte, „ist bei uns gestern Nacht – nicht vorgekommen.“
„Dafür aber fast alles andere,“ Susanne schwenkte lächelnd ihren rechten Arm in Richtung der bereits hinter ihnen liegenden Zeichnungen, Radierungen und Gemälde, „was wir auf den bisherigen Bildern gesehen haben.“ Sie seufzte, „oh Gott, war das schön,“ flüsterte sie leise.
Sie gingen Hand in Hand weiter, landeten in einem Büro der Geschäftsführerin deren Tür offenstand, weil sie glaubten, dort könne es weitergehen, machten kehrt, gingen durch den Saal mit, an orientalische Märchen erinnernden Gemälden des usbekischen Malers Bahadir Yuldashev und mussten mit Bedauern feststellen, dass sie bereits alle, zurzeit hier ausgestellten Bilder von Willi Sitte, angesehen hatten.
„Die Ausstellung Anfang der achtziger Jahre war viel umfangreicher. Außerdem …“ Susanne stockte, weil ihr bewusst wurde, dass sie sich gerade lügenstrafte, denn sie hatte ja behauptet, dass sie Sitte gar nicht kennen würde. Sie drehte ihren Kopf zu Finne, aber der sah weiter auf eine schwarz-weiße Radierung, auf der ein muskulöser nackter Mann mit erigiertem Glied, vor einer ebenso nackten Frau posierte, die mit leicht gespreizten Schenkeln, hinten auf einem Planwagen hockte.
„… entschuldige Finne. . .“
Der hob nur abwehrend seine freie Hand.
„. . . natürlich kenne ich Willi Sitte,“ fuhr sie fort, „er ist für viele Ex-DDR-Bürger, nicht nur in Halle, eine wichtige Identifikationsfigur, vergleichbar mit den Autoren Stefan Heym, Peter Hacks oder Christoph Hein. Diese Künstler strahlen auch heute noch, zumindest in ihren Büchern, Aufrichtigkeit über das Leben in der DDR aus. Während viele andere versuchen, zum Beispiel durch überzogene und sich summierende Darstellungen, die Missstände in der DDR darzustellen, um damit Menschen, die sich zu diesem Staat bekennen, glauben schlecht machen zu können. Die Krönung ist, wenn sie ihnen auch noch Stasizugehörigkeit andichten können, ganz so als ob die westlichen Nachrichtendienste, die ausschließlich Guten seien, also quasi völlig harmlose Geheimdienste in der Welt wären. Ziel ist es, kein gutes Haar an dem untergegangenen Staat DDR zu lassen. Denn damit verbindet sich für den Kapitalismus der einzig erstzunehmende Gegner, der Krieg und Ausbeutung in diesem System an den Kragen will.“
„Genauso werden heute wohl auch die Orden und Preise verteilt,“ ergänzte McAskill, „wie zum Beispiel der ostdeutsche Uwe Tellkamp mit ‚Der Turm‘.“
„Dazu gehört auch Lutz Seiler mit ‚Kruso‘,“ setzte die Cremer die Aufzählung fort mit dem wohligen Gefühl, dass der Mann sie auch diesbezüglich verstand, hatte er doch mit seinen Kenntnissen zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht nur mit der DDR-Literatur, sondern auch dem Leben in diesem untergegangenen Land beschäftigt haben musste.
„Obwohl,“ Finne berührte Susn am Arm, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu versichern „der Seiler schreibt in einem ausgezeichneten Deutsch.“
„Da fällt mit gleich noch Eugen Ruge ein,“ fuhr wieder die Cremer fort, „dessen Vater Deutscher, die Mutter Russin war, mit dem Roman ‚In Zeiten abnehmenden Lichts‘. Mit diesem Buch konnte ich mich sogar anfreunden. Aber echt schlimm, weil verzerrend, sind die Filme, richtige Gruselmärchen über die DDR, zum Beispiel vom Rheinländer Donnersmarck. Kein Wunder, dass gerade der von der reaktionären Filmpreisverleihung in den USA einen Oskar bekam.“
Susanne folgte dem Blick des Mannes, wandte sich ihm liebevoll flüsternd zu, „dein steifer Penis war gestern viel deutlicher, größer, schöner als der da,“ sie nickte in Richtung Grafik, „und er fühlte sich wunderbar an in meinen Händen, meinem Mund, meinem Körper…“
„Wir haben wohl wirklich alles gemacht, was ich bisher kenne, was man sexuell machen kann. Meine Zunge zwischen deinen – vier – Schamlippen . . . zum ersten Mal habe ich gesehen, dass die Vagina der Frau tatsächlich vier besitzt.“
„Ich muss dir gestehen, dass ich erst jetzt weiß, was ein Blowjob ist. Das Wort kannte ich nur aus einem Buch. Ich hätte nie gedacht, dass man damit einen Samenerguss erzielen kann.“
„Dafür hast du’s aber richtig professionell . . . Au!“ Finne stöhnte auf, weil die Frau ihm in die Rippen geknufft hatte, „. . . wundervoll, hochbefriedigend gemacht.“
„Soll ich heute nochmal . . .?“ Sie legte kurz ihre Hand an die bestimmte Stelle, denn sie waren in diesem Raum allein.
„Hast du nicht morgen Frühschicht?“
„Wie unromantisch.“ Susanne öffnete den Reißverschluss von Finnes Hose. „Dann muss ich eben gleich hier. . .“ und sie griff mit der Hand in die Öffnung.
Der Mann fasste schnell die Hand der Frau, doch die hatte das Objekt der Lust bereits gepackt, „du bist verrückt,“ stöhnte er, weil der feste Griff der Frau ihn so reizte, ja regelrecht geil machte, dass er sich nicht mehr dagegen wehrte, dass sie das bereits erigierte Glied aus dem Hosenschlitz zog. Eine Sekunde später betrat ein etwas jüngeres Paar den Ausstellungsraum. Finne wollte seine Blöße schnell verschwinden lassen, aber Susanne ließ das nicht zu. Sie zog den Mann an sich, so dass nichts Nacktes mehr zu sehen war, zeigte in Richtung einer Staffelei, auf der ein unvollendetes Bild von Sitte zu sehen war. Daneben stand ein überdimensional großes farbiges Gemälde, auf dem zwei nackte dralle Frauen zu sehen waren. „Brüste und stramme Schenkel hat der Maler offensichtlich sehr gemocht.“ Sie drehte kurz ihren Kopf zu dem Pärchen hinter ihnen, die vor einem anderen Gemälde standen, leise miteinander flüsterten und offensichtlich mit sich selbst zu tun hatten. Nur die junge Frau warf kurz einen lächelnden Blick zu Susanne und Finne.
„Kannst du erkennen, was das Bild auf der Staffelei werden sollte, Finne?“ Susanne wartete keine Antwort ab und schob während des Sprechens das Glied langsam zurück in die Hose.
Finne zog sofort, aber langsam und geräuschlos, den Reißverschluss zu. „Sag mal, wie alt sind wir doch gleich?“
„Wenn ich von meinem Befinden ausgehe, nicht über Dreißig.“ Susanne sah ihn mit leuchtenden Augen an.
„Muss wohl so sein,“ McAskill schüttelte seinen Kopf, „bisher glaubte ich in drei Jahren Sechzig zu werden.“
Die Frau hakte sich in den Arm des Mannes ein, „komm, lass uns gehen, Finne, ich bin scharf wie. . .“
„Zu dir oder zu mir?“
„Wie komme ich von hier dann zur Arbeit?“ Sie sah ihn fragend an, „mit der Straßenbahn?“
„Quatsch!“ Sie kicherte albern, „ich nehme dich natürlich mit.“
„Um fünf Uhr?“
„Na, viertel nach Fünf reicht auch, Okay?“
„Wenn wir wieder die Nacht durchmachen, dann reicht auch fünf Uhr dreißig, denn dann schwebe ich morgen auf Wolken zur Arbeit.“
„Ob das gut geht?“
„Glaubst du etwa ich kann nicht mehr zwei Nächte durchmachen?“ Sie sah den Mann – gespielt – empört an. „Schon vergessen? Dreißig und nicht fünfundfünfzig. – Oder. . .“
„Was, oder?“
„. . . oder kannst du nicht,“ sagte sie fast flüsternd, denn auf keinen Fall wollte sie den, ihr inzwischen so nahestehenden Mann, vor den Kopf stoßen. Doch wenn sie an die letzte Nacht dachte, schämte sie sich sofort. „Entschuldige, Finne, ich weiß . . .“
„. . . bei einer Sexy-Frau, wie du es bist,“ unterbrach der Mann lachend, „spielt doch das Alter des Mannes keine Rolle. Da klappt es sogar immer öfter.“
„Das stimmt,“ stellte sie entwaffnend fest, „ich bin viermal gekommen. So viel Spaß beim Sex hatte ich noch nie.“
„Das beruht auf Gegenseitigkeit, denn mir hat es genauso viel Spaß gemacht.“
„Wie schön,“ konstatierte die Cremer.
„Vielleicht schon zu schön?“
„Und wenn? – Jetzt ist es so! Jetzt genießen wir das, was ist. Jetzt ist unwichtig, was morgen sein könnte.“
Beide versanken in Gedanken an die letzte Nacht.
„Ich habe eine Idee, Finn.“
„Wir sehen uns noch einmal die erotischen Bilder an?“
„Nicht einfach so. Wir versuchen herauszufinden, wie viel Stellungen im Liebesverkehr zwischen Mann und Frau, Sitte hier skizziert hat.“
„Wunderbar. Ideen muss man haben.“
Hand in Hand zogen die beiden erneut, dieses Mal sehr zielstrebig durch die Galerie.
Sie amüsierten sich köstlich. Dann fuhren sie voller Vorfreude zu McAskills Wohnung.
Hallo liebe Lesefreunde!
Das 10. Buch von Max Balladu ist ein Roman in zwei Bänden, die in je zwei Teile aufgegliedert sind. Der Titel lautet:
‚Tote brauchen keinen Himmel‘
Band 1
Band 2
Buchlesungen finden im Januar statt.
Beide Bände sind im Online-Buchhandel verfügbar.
Preise:
Band 1 19,99 €
Band 2 15,99 €
4. Auszug aus Balladus neuem, noch unveröffentlichten Buch ‚Tote brauchen keinen Himmel‘
Bennstedt ‚Zur alten Scheune‘, Dienstag, 2.10. 2018
Bei der Zusammenkunft des ZKV am 31. Oktober 2017, konnten die beiden Detektive aus Düsseldorf noch nicht viel neue Fakten aufweisen, die für einen Zusammenhang zwischen dem Russen Sergej Wlassow und Ninas Freund Horst Beier sprachen. Das einzige Ermittlungsergebnis besagte, dass Sergej noch am letzten Tag des Krieges, erschossen worden war. Die weitere Recherche bezüglich der deutschen Küchenhilfe, die bei der Flucht maßgeblich geholfen hatte, brachte etwas reichere Erkenntnisse. Die aus einer kleinen Bauernfamilie stammende Ilse Schäfer, war am 17.7.1925 in Kölme geboren worden. Im März 1944 wurde sie zur Zwangsarbeit im KZ Wansleben verpflichtet. Am 23.8.1945 brachte sie ihren und Sergejs Sohn Dimka (Sergejewitsch) zur Welt. Ab 1946 lebten sie und das Kind mit dem russisch-tschetschenischen Offizier Ramsan Kadyrow in Halle zusammen. Die Mutter starb bereits am 21. April 1953 an einer Blutvergiftung. Kadyrow adoptierte das Kind, es erhielt den Namen Dimka Sergejewitsch Kadyrow. Der Junge wuchs praktisch in der Kasernenstadt am Rande der Heide von Halle auf. Im Herbst 1963 wurde Dimka für drei Jahre zum Militärdienst in der Sowjetarmee nach Moskau eingezogen und besuchte danach für drei Jahre eine Offiziersschule.
Mehr hatten Ernst Wolf und Paula Peters vor einem Jahr nicht herausfinden können. „Das sieht dieses Mal etwas besser aus,“ begann Ernst Wolf mit dem Bericht über die neuen Erkenntnisse, nachdem sich die heute teilnehmenden Mitglieder des ZKV begrüßt hatten. Günther Hossa in seiner bekannten Art, ohne ein Wort von sich zu geben. Er sah nur auffordernd zu Lena. Die nickte mit dem Kopf in Richtung Detektiv-Duo. Mit nur zwei Worten, „neue Ergebnisse?“ wandte er sich an Wolf.
„Bevor wir mit unseren Berichten loslegen, möchte ich gern, dass der ältere Herr, der gerade den Gastraum betreten hat, mit an unserem Tisch Platz nimmt.“ Er winkte dem Mann zu, der an der Tür unschlüssig stehen geblieben war, „bitte setzen sie sich doch zu uns,“ und zeigte auf den freien Stuhl neben Paula.
Erstaunt musterten die ZKV-Mitglieder die zwar kleine, aber aufrechte, schlanke Gestalt des Mannes, sein rundes mit vielen Fältchen durchzogenes Gesicht, die senkrecht stehenden, kurz geschnitten, grauen Haare, die an früher üblichen Bürstenschnitt erinnerten, und verfolgten interessiert wie der Fremde ohne Gehhilfe sicheren Schrittes wortlos zum Tisch kam, nur nickend grüßte und sich setzte.
„Wir werden den euch noch unbekannten Gast etwas später vorstellen, wenn ihr gestattet.“ Ernst sah lächelnd von einem zu anderen, bemerkte dass Susanne etwas sagen wollte, schüttelte nur leicht den Kopf und sie schwieg. Der Fremde sah sich aufmerksam um, nickte nochmals allen verhalten zu, nur Paula schenkte er ein verschmitztes Lächeln.
Ernst Wolf sah auffordernd zu seiner Partnerin, „zuerst ist Paula dran. Sie kann den ersten Teil viel spannender erzählen als ich.“
„Weil sie nicht nur schnüffeln kann,“ konnte Balla sich nicht bremsen einzuwerfen, „sondern auch Fantasie und Humor hat. Woran es dir, schon wegen deines Vornamens, mangelt.“
„Halt die Klappe Balla!“ knurrte Hossa.
Die Anwesenden amüsierten sich, weil die Kabbelei zwischen den eingeschworenen Freunden Ernst Wolf und Emil Balla schon zur Tradition der Besprechungen gehörte.
Paula Peters nutzte diese Zeit, um nach dem richtigen Anfang zu suchen. „Deine Informationen Susanne, haben…“
„Die Informationen vom Freund meiner Tochter,“ warf die Cremer ein.
„… na klar, deinem Schwiegersohn …“ sie hob nur kurz ihren rechten Arm, um einen erneuten Einspruch zu verhindern, „Lewan Taktakischwili, haben uns den Durchbruch gebracht. Wir müssen mit unseren Gedanken erst einmal zurück bis zum November 1994, also kurz bevor der erste Tschetschenische Krieg begann.“
Halle-Neustadt, Freitag, 11. November 1994
„Warum musst du nach Tschetschenien?“ Angela streichelte die Wange des neben ihr im Bett liegenden Mannes, „von dort hört man nicht gerade beruhigende Nachrichten, Dimka. Sag mir die Wahrheit.“
Der mittelgroße Mitvierziger, Dimka Sergejewitsch Kadyrow, mit untersetzter Figur und die sechs Jahre jüngere Angela Beier, lebten seit 1970 zusammen. Obwohl sie nicht verheiratet waren, fühlten sie sich wie eine fast richtige Familie. Es fehlte nur noch ein Kind, das sich beide sehr wünschten, aber bisher war ihnen dieser Wunsch unerfüllt geblieben. Die Lehrerin für Russisch und Geschichte hatte den russischen Offizier mit deutschen Wurzeln, der nach dem erfolgreichen Abschluss der Offiziersschule wieder nach Deutschland geschickt worden war, am 1. Mai 1970 bei der traditionellen Demonstration in Halle-Neustadt kennengelernt.
„Es gibt Konflikte zwischen Russland und Tschetschenien,“ begann Dimka langsam, überlegte dann, was er sagen könnte, um Angela möglichst nicht zu ängstigen, „nach der einseitigen Unabhängigkeitserklärung der Tschetschenen durch Dudajew, schwelt in diesem Land die Unruhe. Seit nun auch noch der Putsch der prorussichen Gruppe fehlgeschlagen ist, sieht es jetzt so aus, als würde Jelzin Militär in dieses Land einmarschieren lassen. Viele Kommandeure und Offiziere haben sich scheinbar geweigert Befehle in dieser Richtung, also der eines Einmarsches in Tschetschenien, auszuführen…“
„Recht haben sie!“ warf Angela energisch ein.
„Ja … wahrscheinlich. Ich weiß im Moment noch nicht, was ich machen soll. Vielleicht kann ich ja vor Ort verhindern, dass es zu einem unnützen Blutvergießen kommt?“
Angela beugte sich kopfschüttelnd über den Mann, „du setzt dich einer zusätzlichen Gefahr aus, Dimka. Und wie soll das gehen, bei einem Krieg das Töten verhindern?“
Der inzwischen zum Oberst beförderte Kadyrow, war im August dieses Jahre 1994 mit den anderen russischen Besatzungstruppen von Deutschland nach Russland zurückgekehrt und in der Nähe von Moskau stationiert worden. Angela wollte erst mit ihm nach Russland gehen, aber dann beschlossen beide, dass sie doch in Deutschland bleiben sollte. Dimkas Dienstzeit betrug bereits 31 Jahre und er hatte fest vor, nach dem Einsatz in Tschetschenien, aus der Armee auszuscheiden.
„Man hat mich zum Kommandeur der selbständigen Luftsturmbrigade Kamyschin gemacht.“
„Was heißt das?“ fragte Angela verwundert, „macht das die Situation besser?“
„Ja. – Glaube ich zumindest.“ Dimka überlegte, bevor er weitersprach, „ich bin der Kommandeur, ich entscheide. – Du kennst mich Ela und du weißt, dass mein Stiefvater gebürtiger Tschetschene und wie ich Offizier der Sowjetarmee war. Er glaubte nicht nur an die kommunistische Idee einer klassenlosen Gesellschaft, er handelte auch bis zu seinem Tod danach.“ Erneut dachte Dimka ein paar Sekunden nach, „ich werde kein unnötiges Morden zulassen, Ela.“
„Dein Stiefvater ist tot?“ Angela sah den Mann erstaunt an.
„Er …“ Dimka zögerte nur einen kurzen Moment, „… ist … in einem Krieg gefallen.“
„Was? Wo und wann denn?“
„Er war Befehlshaber der Besatzungstruppen des südlichen Gebietes in Afghanistans mit Sitz in Kandahar. 1983 wurde er vom Oberbefehlshaber der Besatzungstruppen Generalleutnant Igor Rodionow nach Kabul zu einer Lagebesprechung befohlen. Mein Vater flog mit der Patrouillenversion vom Typ TU-95, der TU-142, ohne zu wissen, dass die Russen nicht mehr die sichere Lufthoheit besaßen. Prompt wurde ihr Flugzeug mit einer hochmodernen Stinger-Rakete abgeschossen. Von der vierköpfigen Flugbesatzung sind drei sofort getötet worden, während der Vierte, mein Vater und zwei seiner Stabsoffiziere, mit Fallschirmen abspringen konnten, aber alle vier wurden noch in der Luft hängend von Scharfschützen getötet.“
„Das ist furchtbar, Dimka.“ Die Frau drehte ihren Kopf ein wenig zur Seite, damit der Mann nicht sehen konnte, dass sie mit den Tränen kämpfte. „Die Mächtigen dieser Welt, ob im Osten oder Westen, haben alle Dreck am Stecken. Du darfst nicht auch zum Opfer … oder Mörder werden, Dimka.“
„Wenn ich nicht gehe, dann befördern sie einen anderen und schicken den in den Krieg.“ Dimka winkte ärgerlich ab.
Doch die Frau ließ sich nicht beruhigen. „Jede Art von Krieg müsste in der heutigen Zeit verboten werden. Haben die Menschen denn nichts aus der Vergangenheit, den zwei großen Weltkriegen und den vielen, zwar vergleichsweise kleinen Kriegen, die aber mit furchtbaren Nachfolgeproblemen die Menschen quälen, gelernt? Muss das immer so weitergehen, Dimka?“
Beide schwiegen geraume Zeit.
„Was ist eigentlich mit deinem richtigen Vater, Dimka? Du hast nie von ihm erzählt. Warum? … oder … was ist mit ihm passiert?“ Erneut sah die Frau dem Mann eindringlich in die Augen. Der Blick sagte deutlich, dass sie sich nicht ohne eine Antwort zufriedengeben würde.
„Mein Stiefvater hat über diese Zeit nicht gern gesprochen und wenn, dann nur sehr spärlich. Ich weiß nur, dass mein leiblicher Vater, ein großgewachsener, bärenstarker Russe, Sergei Iwanowitsch Wlassow wohnhaft in Moskau, im April 1945 aus einem Nebenlager des KZ Buchenwald zusammen mit drei anderen Leidensgefährten fliehen konnte. Die drei, ich glaube es waren Dänen, haben es geschafft, aber er wurde am letzten Tag des Krieges erschossen. Kurz bevor er sich bei den Amerikanern in Sicherheit bringen konnte…“ Er zögerte einen Augenblick und fügte dann noch hinzu, „…wahrscheinlich erschossen, denn seine Leiche wurde nie gefunden.“
„Und deine Mutter? … wer war dann deine Mutter? … eine Deutsche? … oder? … und warum ist sie tot?“
„Sie zog sich im Juni 1953 eine Blutvergiftung zu und starb am 16. Juni 1953 auf dem Weg in die Klinik. Ja, sie war eine Deutsche, arbeitete in dem KZ als zwangsverpflichtete Küchenhilfe und nur mit ihrer Hilfe, ihrer Ortskenntnis, konnte die Flucht der vier Häftlinge auf dem Todesmarsch aus dem KZ Richtung Saale, gelingen.“
„Es ist nicht zu fassen, deine Mutter hat die Flucht organisiert und ausgerechnet ihr Geliebter, dein Vater, wurde erschossen? … entschuldige Dimka, ich finde das nur irgendwie … na ja, hatte er vielleicht einen Rivalen?“
Dimka sah seine Frau an, ‚wie kam sie nur darauf?‘ Er hatte darüber nie nachgedacht. Im April war doch noch Krieg. Außerdem war sein Vater auf der Flucht vor der SS. Aber eine personifizierte Tötung mit dem Motiv Eifersucht? Das konnte der Mann nicht nachvollziehen. „Das ist doch Unsinn, Ela. Du hast zu viel Fantasie.“
„War deine Mutter schön?“
Dimka schüttelte den Kopf. „Sie war eine Küchenhilfe.“
„Na und?“ Die Beier besann sich, „aber das ist jetzt wirklich unwichtig, Dimka. Wir haben nur noch diese Nacht.“
Sie küsste dem Mann auf den Mund, zog ihn langsam zu sich, bis er auf ihr lag, nein, über ihr schwebte, denn Dimka war stark und stützte sich so ab, dass sie sein Gewicht kaum spürte. Diese überaus zärtliche Berührung ihrer Haut mit seiner, ließ sie lustvoll erzittern und sie stöhnte auf vor Wollust, als der Mann in sie eindrang. So intensiv, so ganz und gar in ihr drin, mit ihr verschmolzen, hatte sie ihren Dimka noch nie vorher empfunden.
Am nächsten Morgen verließ Oberst Kadyrow nachdenklich, aber sehr ruhig und ausgeglichen, den fünfstöckigen Wohnblock in Halle-Neustadt, vor dem ein Taxi wartete, dass ihn zum Flughafen nach Berlin brachte, von wo aus er mit der Aeroflot nach Moskau flog. Dort brauchte er nur einen Tag, um seine Ausrüstung zu packen, den Einsatzbefehl aus dem Verteidigungsministerium abzuholen und sich von seinem Armeefreund, Iwan Pawlow zu verabschieden, mit dem er mehrere Jahre in Deutschland stationiert gewesen war, 1994 den Rückzug aus Deutschland mitgemacht hatte und der mit ihm die letzten Monate in Moskau verbracht hatte. Am nächsten Tag, Montag, dem 14. November, flog Oberst Kadyrow mit der Aeroflot nach Wolgograd, fuhr zweihundert Kilometer mit dem Auto am Westufer der Wolga entlang bis zu den Kasernen in Kamyschin, in denen seine Truppe, deren Kommandeur er ab heute war, schon seit längerer Zeit stationiert war.
Darin erwartet die Leser:
Inhalt:
Der Roman erzählt in vier Teilen, ausgehend von drei voneinander unabhängigen Paaren, aus drei Generationen, deren Lebensgeschichten mit ihren mehr oder weniger auffälligen Verstrickungen mit Gegenwart und Vergangenheit. Der Leser lernt diese Menschen mit deren Freunden, Feinden und manchen kleinen und großen Sorgen und Freuden kennen.
Der historisch als Tarnung vor Schnüfflern entstandene und gewachsene Zwergkaninchenverein (ZKV) ‚Haase‘ e. V., bekannt aus den bereits veröffentlichten Büchern von Balladu, fungiert in diesem Roman durch seine Mitglieder als verbindendes Element in all den geschilderten historisch weit gesplitterten Vorgängen.
Demnächst werden in kurzen Zeitabständen Ausschnitte aus einzelnen Kapiteln des Romans hier veröffentlicht werden.
Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.
Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.
Wenn der Mensch ›Loch‹ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.
Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.
Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs … festlig? … Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.
Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.
Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.
Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.
Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein?
Und warum gibt es keine halben Löcher –?
Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.
Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen Sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn Sie tot sind, werden Sie erst merken, was leben ist. Verzeihen Sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen.
Verfasst von Kurt Tucholsky alias Kaspar Hauser.
oder
„Du hast mir doch mal erzählt, dass ihr jeden Tag am Nachmittag in der Umgebung von Bennstedt spazieren geht?“
„Genau. Seit der Corona Geschichte, fahren wir mit dem Auto nur noch zum Einkaufen.“
„Immer dasselbe, wird das nicht langweilig?“
„Langweilig? Von wegen Ingrid, ich könnte dir da eine Geschichte erzählen…“
„Erzähl Henni, das klingt, ja fast… würde ich sagen… mysteriös?“
„Mysteriös? Nein, dann wohl eher prickelnd, erotisch, sexy,“ sie machte eine kleine Pause, bevor sie nachdenklich hinzufügte, „möglicherweise verursacht durch Corona?“
Henriette Fabienne Möller saß, schön auf den vorgeschriebenen Abstand bedacht, mit ihrer Freundin Ingrid im Frisörsalon, der gerade wieder öffnen durfte. Beide, immer noch sehr gut aussehenden Frauen, waren Mitte siebzig, die eine groß und schlank, die andere kleiner mit ausgeprägten weiblichen Formen. Der Andrang, einen Termin für eine Haarpflege zu bekommen, war natürlich groß. Zwei Frisörinnen, die ältere, offensichtlich die Chefin und ein blutjunge, vermutlich eine Auszubildende, arbeiten gerade an je einer Kundin ebenfalls unterschiedlichen Alters. Trotz des Abstandes war für die zwei Wartenden Zeit und die Möglichkeit sich zu unterhalten, sie mussten nur etwas lauter sprechen. Doch das schien die anderen nicht zu stören.
„Mach‘s nicht so spannend, erzähl schon.“ Ingrid wandte ihren Kopf neugierig auffordernd ihrer Freundin zu.
„Es begann beim alltäglichen, gemütlichen Frühstück, während dem wir auch meistens den Tagesablauf ein wenig planten.“
„Sag mal Moritz, welches Ziel setzen wir uns heute für unseren Spaziergang?“
„Hmm…ich weiß nicht Max, sag du.“
Das ergraute Ehepaar Henriette Fabienne Möller und Max Balladu saßen gemütlich beim Frühstück. Der Mann Max hatte, als ambitionierter Amateurliterat, seiner Frau, der Wennichmallusthabmalerin aus dem mit dem Buchpreis Leipzig 2020 ausgezeichneten Buch ‚Stern 111‘ von Lutz Seiler ein Kapitel vorgelesen. Sie hatten ein wenig darüber diskutiert, während gleichzeitig beide die letzten Schlucke ihres Frühstückskaffes schlürften.
„Weißt du Moritz,“ der Mann benutzte den vor nun schon fünfzig Jahren erfundenen Kosenamen für seine Frau, „der Seiler versetzt unsereinen in nostalgische Stimmung, es erinnert mich an unser Leben in der DDR. Wie wäre es mit einem Nostalgie Spaziergang?“
Nachdenklich sah die Frau zu ihm, trank noch einen Schluck Kaffee, wollte etwas sagen, verwarf es wieder und schwieg. Balladu legte seine Beine hoch auf den anderen Küchenstuhl, griff zu seiner Kaffeetasse, ein zweihundertzwanzig Milliliter Pott, den er vor zwanzig Jahren aus Baton Rouge Bundesstaat Louisiana von einer Dienstreise mitgebracht hatte, trank genüsslich seinen gezuckerten und mit Sahne verfeinerten Kaffee, dachte ebenfalls nach, sagte dann, „haben wir hier schon alle Wege, die wir mit Max gelaufen sind erledigt?“ Max war ihr Golden Retriever, der bereits im Jahr 2015 gestorben war, dem sie allerdings immer noch nachtrauerten.
„Ich weiß nicht…“ die Frau brach ab, schwieg erneut, doch nach einer Minute fuhr sie fort, „was hältst du davon,“ sie kicherte vor sich hin, so dass der Mann neugierig skeptisch zu seiner Frau sah, „ob wir die Stelle wiederfinden,“ sie kicherte erneut, „wo wir uns im Freien geliebt haben?“
„Wow, mein Weib kann Ideen haben!“ Der Mann stellte seine Tasse auf den Tisch., dachte nach, „aber das ist nur richtig gut, wenn wir dann da auch wieder Sex machen.“
„Ich denke schon, wenn wir die Stelle finden und sie immer noch so schön geschützt und unzugänglich ist…dann lieben wir uns ganz materialistisch.“
„Schöner Antrieb und – tatsächlich – eine brillante Idee. Selbstverständlich machen wir das.“ Max lächelte seiner Frau anerkennend zu.
Die beiden tranken den letzten Schluck Kaffee, standen vom Tisch auf, die Frau ging ins Wohnzimmer zu ihren Rätselheften, sie hatte das Frühstück vorbereitet, während der Mann den Tisch abräumte, das Geschirr in die Spülmaschine stapelte, den Tisch abwischte, das Licht in der Küche losch, in den geräumigen Keller strebte, wo sich im ehemaligen Kinderzimmer sein Schreibtisch mit dem Laptop befand auf dem er nun versuchte mit neuer Triebkraft seine Romanideen umzusetzen.
„Hier in der Nähe müsste es sein,“ sagte Max nachdem die Beiden etwa eine halbe Stunde marschiert waren. Der Wanderweg führte hier direkt in einen schmalen, langsam abfallenden, grün bewachsenen Einschnitt im Gelände zurück ins Dorf. Max streckte seinem rechten Arm aus und wies über eine grüne nach vorne hin langsam abfallende Ebene zu einem langgezogenem Buschwerk hin, das sich auf der linken Seite des mit etwa zehn Zentimeter großen Sprösslingen irgendeiner Getreidesorte bewachsenen Feldes über zweiundert Meter erstreckte bis hin zur dann abrupt zwanzig Meter steil abfallenden Schlucht zur Straße nach Langenbogen, was sie aber von hier nicht sehen konnten.
„Ja, das denke ich auch, aber,“ sie zeigte auf den linken Rand des von Max beschriebenen Buschwerks, „ich denke das Fleckchen muss gleich hier vorne irgendwo sein.“
„Ich kann mich noch gut erinnern,“ Max zeigte erneut über das Feld zum Ende des Buschwerks auf dessen rechte Seite, „das muss ziemlich nahe an der Schlucht zur Straße liegen. Denn von da aus…“
„Ich bin sicher,“ unterbrach die Frau, „dass die schöne Stelle, wo wir uns geliebt haben, gleich hier vorn sein muss, dicht neben dem immer steiler werdenden Rand das absteigenden Wanderweges.“
„Das Beste wird sein,“ versuchte Balladu eine Lösung zu finden, „wenn jeder nach seinen Vorstellungen dieses Plätzchen sucht. – Wir treffen uns dann ja dort?“
„Gute Idee Max.“ Die Frau winkte ihrem Mann zu, schwenkte nach links, ging ein paar Meter über das Feld und verschwand im Buschwerk. Balladu sah ihr nicht hinterher, denn er war sich sicher, dass er am anderen Ende des Buschwerks die besagte Stelle finden würde. Er schritt in einer breiten Spur, die für die Pflege und Bearbeitung des Feldes von den Traktoren geschaffen worden waren, zügig voran. Tatsächlich entdeckte er kurz vor der Schlucht einen Wildpfad, der ihn durchs Buschwerk führen und an den gesuchten Platz bringen könnte.
„Wieso erzählst du nicht weiter?“ fragte Ingrid verwundert.
Genau in dem Moment merkten die Freundinnen, dass ungewöhnliche Stille im Frisörladen eingetreten war. Offensichtlich hatten auch die vier anderen im Raum befindlichen Frauen auf die Pointe der Story gewartet.
„Kann man denn in so einem Alter noch bumsen?!“ platzte die blutjunge Frisörin in die Stille hinein.
„Hanna!“ ermahnte die Chefin vorwurfsvoll ihre junge Angestellte, wandte sich dann den beiden Freundinnen zu, „bitte endschuldigen sie, wir vier haben schon seit den einleitenden Worten ‚prickelnde erotische Story‘ zugehört.“
„Und ob,“ sagte Henni mit einem schelmischen Lächeln im Gesicht, „den zweiten Frühling gibt es wirklich und das ist nicht nur ein kurzes Aufflackern.“
„Ja, aber warum,“ die Kundin mit den Lockenwicklern im Haar drehte sich etwas zu den anderen Frauen um, „haben sie dann aufgehört zu erzählen?“
„Genau Henni, wie war es? Wie ging es weiter?“
„Wunderbar,“ antwortete die nur und wartete lächelnd ab.
„Das heißt… ihr habt es getan…?“
„Es zu tun war ja unser Ziel. Die Fähigkeit dazu war vorhanden und zu Hause erprobt. Nur,“ wieder machte sie eine bedeutungsvolle Pause, „uns dort im Freien sexuell zu lieben konnten wir dennoch nicht.“
„Hat er keinen hoch gekriegt,“ platzte wieder die junge heraus.
„Hanna!“ mahnte erneut die Chefin.
„Nein, das war wirklich nicht das Problem.“
„Was dann?“ hakte die Freundin nach.
„Wir haben uns,“ erneut machte sie ein Kunstpause, „nicht gefunden.“
„Wie nicht gefunden?“ fragten gleich mehrere.
„Wir haben uns erst zu Hause wiedergesehen.“
„Was?“ „Wieso denn?“ Die fünf Zuhörerinnen sahen verständnislos zur Erzählerin.
„Ganz einfach. Wir haben uns – dort – verfehlt. Jeder hatte den Platz aus seiner Erinnerung gesucht und nach seiner eigenen Meinung, wiedergefunden. Aber eben jeder einen anderen.“
Hanna lachte schallend. Die älteren schmunzelten weise, die jüngeren lächelten verhalten mit träumerischem Blick.
„Halt!“ rief die Jüngste, weil die Chefin schon wieder zur Tagesordnung übergehen wollte, „das haben sie doch nachgeholt? Oder?“
„Kluges Mädchen,“ antwortete lächelnd die Erzählerin, „selbstverständlich!“
Hallo liebe Lesefreunde!
Mit dem 9. Buch veröffentlicht Max Balladu als Herausgeber eine Anthologie unter dem Titel:
‚Lose Blätter‘
eine Blütenlese mit Erzählungen und Gedichten von:
EWa, Jörg Körner, Anni Kloß, Mimi H, Heiz Schubert, Helene Paetz und Max Balladu.
Wie bereits bei den vorherigen Lesungen stellt in diesem Falle der Herausgeber das neue Buch in zwei öffentlichen Buchlesungen vor:
Inhalt:
Gedicht A. Kloß ‚Revolution auf ostdeutsch‘
Gedicht Helene Paetz ‚Trag dein Leid‘
Gedicht Kloß ‚Schweigen‘ (oder Schubert Herbstlied)
Es können auch Bücher von Balladu erworben werden.
zum Roman ‚Die Frau auf der Treppe‘ von Bernhard Schlink
Inhalt:
Der Ich-Erzähler, Anwalt einer Frankfurter Kanzlei, erlebt als junger Mann im Sommer 1968 eine merkwürdige Geschichte: Damals willigte er ein, einen Vertrag aufzusetzen, der ein Tauschgeschäft – ein Akt-Gemälde gegen eine davongelaufene Ehefrau – zum Inhalt hatte. Nach mehr als 40 Jahren trifft er die Frau und die ‚Tauschpartner‘ wieder.
Kritik: … unsere Welt ändert sich nicht mehr …?
Wenn ich, Anni Kloß, ein Buch vom Diogenes Verlag in die Hand nehme, bildet sich in meinem Kopf automatisch eine ganz bestimmte Vorstellung über das, was ich noch gar nicht gelesen habe. Schon durch die äußere Gestaltung des Covers strahlt der Roman ein ganz eigenes Flair auf mich aus. Beim heute rezensierten Buch erinnere ich mich noch daran, weil ich dieses Empfinden gleich am Anfang aufgeschrieben habe: künstlerisch verträumt, vorrangig in der Gegenwart spielend, aber mit einem Hauch vom Ende des 19. und Anfang des 20. Jahrhunderts versehen. Die Frau stellt sich mir bildlich wie eine von Tucholskys Frauenfiguren dar. Ich weiß deshalb, dass ich Geduld mit mir haben muss, weil mich bei einem solchen Vorgefühl schnell Langeweile beim Lesen anspringt. Das war auch dieses Mal wieder so.
Doch auf Seite 143, als ich über Irenes Aufenthalt in der DDR las, regte ich mich zuerst auf, weil Schlink die DDR als ein totes Land beschreibt (vor dem der Westen scheinbar immer noch solche Angst hat). Zuerst dachte ich, dass der Autor nur schlecht recherchiert hat, denn er vergleicht das Leben in der DDR mit einer täuferisch-protestantischen Glaubensgemeinschaft, einem Biedermeier-Idyll!? – Doch dann erfahre ich, dass die Frau als eine von der BRD gesuchte Terroristin in der DDR untergetaucht war. Das änderte für mich die Situation von Grund auf, und zwar zum Positiven hin, denn mit den Vorstellungen eines solchen Menschen konnte ich die Darstellung der DDR verstehen.
Die Beschreibung der Gegenwart wird vom Kapitalismus beherrscht. Der Mann, der seine Ehefrau gegen das Bild ‚Die Frau auf der Treppe‘ zurücktauschen will, ist steinreicher Kapitalist, der genau weiß, dass die Parteien CDU und SPD seinen Besitz und seine Macht sichern werden: „…Die Geschichte geht weiter. Aber unsere Welt ändert sich nicht mehr …“ (Seite 156).
Der inzwischen erfolgreicher Maler, der das Bild, das er gemalt hat, gegen die Frau, die mit ihm durchgebrannt war, wieder zurückhaben will, hat der Ideologie des Kapitalisten: „Sie sind der Künstler, dem alles zu Gebot steht und der von allem Gebrauch macht und zu dessen Kunst es keine Alternative mehr gibt …“ (Seite 157), außer Sympathie für die Linken, „… die schönen klugen Frauen aus gutem Haus, die sich damals zu den Linken geschlagen haben, aus politischer Überzeugung und weil sie spürten, wo die Avantgarde ist, wo es lebendig und prickelnd zuging …“(Seite 159), nichts entgegenzusetzen.
Der erfolgreiche Rechtsanwalt, der das Tauschgeschäft anwaltlich begleitet hatte, der sich auch in das Weib verliebte, aber bei der Frau als Mann nicht zum Zuge kam, kümmert sich in der Gegenwart um die inzwischen schwer kranke Frau. Er wird vom Kapitalisten abgefertigt: „… Teure Kanzlei, ich weiß, große Fälle, aber immer für andere die Drecksarbeit erledigen – Sie sind ein Lakai. Zuerst waren sie seiner (nickt zum Maler), dann meiner, dann ihrer (zur Frau). Sie halten am besten den Mund …“ (Seite 162)
Schlink schreibt wie gewohnt flüssig, die Handlungsorte passen, der Bezug zur Realität ist gegeben.
Der 70-jährige Autor hat mit der Grundstory eine gute Möglichkeit gefunden, über sein Leben zurückblickend zu philosophieren.
Das ist ihm im großen Ganzen so gelungen, dass es gut lesbar ist.
Bewertung:
Bewertung: 4
Bewertung: 4
Bewertung: 4
Bewertung: 3
Bewertung: 3
Bewertung: 2
Summe Bewertung: 3
Für dieses Buch erhielt Seiler 2014 den ‚Deutschen Buchpreis‘
Edgar – Ed – Bendler, der Hallenser, bricht das Literaturstudium ab. Er flieht vor einer schrecklichen Realität und landet als Saisonkraft (Esskaa) auf der Ostseeinsel Hiddensee. Im Abwasch des Klausners, einer Kneipe hoch über dem Meer, lernt Ed das 12-köpfige Personal, darunter auch den, in der DDR aufgewachsenen, Russen Alexander Krusowitsch – Kruso, kennen. Eine verwirrende, zärtliche Männerfreundschaft beginnt zwischen Kruso, dem stillen, unbenannten, aber anerkannten Herrscher der Insel und Ed, dem Neuling. Von dem Russen wird Bendler eingeweiht in die Rituale der Saisonarbeiter und die Gesetze ihrer Nächte, die für Ed auch unerwartete sexuelle Erlebnisse bringen. Geheimer Motor dieser Gemeinschaft ist Kruso und seine Utopie, die verspricht, jeden Ausreisewilligen oder – wie der Russe es formuliert – den Schiffbrüchigen des Landes DDR und des Lebens, in drei Nächten zu den ‚Wurzeln der Freiheit‘ zu führen. Der Herbst 89 erschüttert auch diese Gruppe auf der Insel. Aber anders, als die Gestalter der Revolution im Land, zerfällt die Gemeinschaft der Aufmüpfigen und endet teilweise tödlich.
Am Ende steht – allein für Ed Bendler – ein Versprechen.
Der Roman ist ausgezeichnet geschrieben und basiert, zumindest im letzten Teil, auf einer sehr guten Recherche, die den Spuren jener Menschen folgt, die bei ihrer Flucht über die Ostsee verschollen sind, und führt bis nach Kopenhagen, in die Katakomben der dänischen Staatspolizei.
Die Beschreibung der Insel zeigt, dass der Autor sich gut auf ihr auskennt und auch die Saisonkräfte – die Esskass – sind gut und glaubhaft charakterisiert. Ähnlichen Typen konnte man zu jener Zeit fast überall in der DDR begegnen.
Was aber ist die Story?
Die Helden des Romans, eigentlich unversöhnliche Gegner der Diktatur in der DDR, zumindest empfindet man das so beim Lesen (Seite 306 Bund der Eingeweihten: Untergrund zur Anhäufung innerer Freiheit, ohne Verletzung der Grenzen, ohne Flucht, ohne Ertrinken), enden genau zum Sieg der friedlichen Revolution in der DDR im Zerwürfnis und unverständlicher Selbstzerfleischung, obwohl natürlich auch auf der Insel gewisse Staatsorgane ihre Muskeln nicht nur spielen lassen.
Ist das, philosophisch ausgedrückt, die Negation der Negation?
Zudem erschwert die fast durchgehende Verschleierung der tatsächlichen Vorgänge das Verständnis.
Oder fängt da die Kunst an? – Alles sagen, ohne alles zu sagen? – Der Fantasie freien Raum lassen?
Sexuelle Bemerkungen werden in den Text auf irritierende Art eingebunden, z. B. Seite 34: „Aus den Brötchen war ein einziger Brei geworden, er knetete ein paar Kügelchen und drücke eine Sperma ähnliche Flüssigkeit aus dem Teig.“ Dadurch erhalten fast alle sexuellen Szenen einen etwas anrüchigen, schmierigen, manchmal auch stinkenden Beigeschmack.
Andere Emotionen klingen bei Seiler so: Seite 278: Ed umarmt kniend das stinkende Klobecken und brüllt: „Kruso, Kruso“ in die Öffnung hinein.
Oder Seite 471: Ed läuft einer Frisöse hinterher, die in einem Plastiksack die abgeschnittenen Haare wegbringt und kotzt ihr schreiend vor die Füße.
Zusammenfassend könnte ich meinen Eindruck von dem Buch – vielleicht etwas respektlos – so zusammenfassen: Halb abstrakt, halb mythisch (Seite 45: „Als er den Schrank öffnete, begann die Tür von innen zu schmelzen, in dunklen Wellen.“ oder „Du hast mich geträumt“ oder die Wiederholung von: Gesprungen? – Nicht gesprungen!), halb-homosexuell (Verhältnis Kruso-Ed); halb-Sekte (Die Erleuchteten – vorher Schiffbrüchige), halb schleimig, halb vergammelt, halb eklig (z. B. Seite 80 der Lurch); halb schiffbrüchig, halb flüchtig, halb träumend; halb eingesperrt, halb frei; halb Wahrheit, halb Dichtung; halb Preis, halb Scheiß.
Bewertung: 1
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Bewertung: 4
Bewertung: 5/2
Mein subjektiver Eindruck rundet ab, also 3 Sterne.