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Fortsetzung Videolesung Buch 10 2. Band zu ‚Tote brauchen keinen Himmel‘

Videos zur Lesung ‚Tote brauchen keinen Himmel‘

Feb19

H. F. Moritz und Max Balladu

lesen aus dem 2. Band des Romans von Max Balladu:

‚Tote brauchen keinen Himmel‘

Diese Videos finden Sie über den Link: https://www.youtube.com/watch?v=r_v5RW8OONQ

und https://www.youtube.com/watch?v=7-Jxm3DsanI

Weitere Videos über Bücher von Max Balladu finden Sie auf YouTube über den Link: https://www.youtube.com/results?search_query=max+balladu

E-Book ‚Tote brauchen keinen Himmel‘ verfügbar.

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15 – Zu alt für Sex?

Halle, Sonnabend 28. Januar 2017, 18 Uhr, Krug Zum Grünen Kranze

Die zwei Cremers, Mutter Susanne und Tochter Swenja sowie ihr Gastgeber Finley McAskill waren gerade fertig mit ihrem opulenten Menu:

‚Vorspeise für alle drei: Carpaccio vom Rinderfilet mit Basilikum-Pesto, Pinienkernen und einem Bergkäse,

den Hauptgerichten

für Susanne: Hirschroulade mit Meerrettich und Roter Bete in Zwiebelrahm dazu Speckrosenkohl und Kräuterkartoffeln,

für Finne: Knuspriger Gänsebraten mit Preiselbeer- Sauce, Apfelrotkohl und Kartoffelklöße dazu Marzipanbratapfel

und für Swenja: Wildschweinrücken mit Holunder- Portweinjus, Lorbeer- Birnen und Selleriepüree.

Nachspeise ebenfalls für alle drei: Orangen- Schokoladenmousse, Kumquat-Kompott, Zimtblüteneis und Spekulatius.‘

Der Tisch war bereits abgeräumt, als Svenjas Handy brummte. Die junge Frau griff in ihre Handtasche, legte das Teil auf den Tisch, erkannte den Anrufer, „da muss ich rangehen, entschuldigt mich kurz,“ und sie hielt das Handy ans Ohr, „ja Lew?“ Sie lauschte einen Moment, „warte mal einen Augenblick,“ wandte sich ihrer Mutter zu, „Lewan ist vorzeitig aus Tiflis zurück. Ich würde gern …“ sie brach ab und sah fragend zu ihrer Mutter.

Svenja saß nur hier zusammen mit ihrer Mutter, weil der Schotte McAskill sie beide zusammen im Goldenen Hahn in Merseburg kennengelernt und er sie danach zusammen für dieses Essen eingeladen hatte. Die drei saßen an einem Vierertisch im Krug Zum grünen Kranze, der unmittelbar an der Saale lag, direkt gegenüber der Burgruine Giebichenstein.

„Das erfährst du erst jetzt, dass dein Musikus kommt?“ Die Mutter sah ihre Tochter verständnislos an. Natürlich kannte sie den mittelgroßen 35-jährigen, gutaussehenden, sympathischen Georgier Lewan Taktakischwili mit fast glatten, schwarzen Haaren, der an der bereits seit 1964 existierenden ‚Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin‘, Komposition studiert hatte. Ihre als Bibliothekarin ausgebildete Tochter, hatte den jungen Mann vor zwei Jahren bei einer Benefizveranstaltung im ‚Händelhaus‘ in Halle kennengelernt. Susanne besann sich, dachte kurz nach, warf einen Blick auf Finne, der still lächelnd zwischen den beiden Frauen saß und scheinbar ruhig und gelassen abwartete, was jetzt weiter passieren würde.

Die Frage ignorierend sagte Swenja einfach, „Lew holt mich hier ab.“

‚Das hat das kleine Luder geplant,‘ schoss es Susn durch den Kopf, ‚hält die mich denn inzwischen für so alt oder prüde, dass sie glaubt mich unbedingt verkuppeln zu müssen? Laut bemerkte sie etwas zu   gelassen, „wann sehe ich dich und deinen Komponisten?“

„Wir wollten euch beide,“ sie sah von ihrer Mutter zu McAskill und wieder zurück, „eigentlich ins Sonntagskonzert nächste Woche einladen,“ noch einmal sah sie hin und her, „wenn ihr Lust dazu habt. Die Staatskapelle Halle spielt Stücke von Aram Chatschaturjan, Prokofiev und Max Bruch,“ sie sah lächelnd zum Schotten, „ich glaube sogar die Schottische Fantasie.“

McAskill wollte mit leichtem Schmunzeln etwas erwidern, aber Mutter Cremer war schneller, „Lew soll dich holen,“ sie zeigte aufs Handy, „und er soll sich Zeit lassen …“

„Wir nehmen die Einladung sehr gern an,“ fügte der Schotte hinzu.

Nur fünf Minuten später betrat ein lässig gekleideter schwarzhaariger Mann mit leicht gebräunter Gesichtsfarbe das Lokal. Swenja sah sofort zur Tür, blieb aber ruhig sitzen.

Die Mutter war ihrem Blick gefolgt, und wusste nun definitiv, dass ihre Vermutung zutraf, ihre Tochter versuchte, ihr eine sturmfreie Wohnung zu verschaffen. Zuerst wollte sie eine spitze Bemerkung machen, doch das ließ sie schnell bleiben, weil einerseits in ihr eine noch unbestimmte frohe Erwartung aufstieg und sie andererseits in Finnes Augen einen schimmernden Glanz wahrnahm. Außerdem, das war wohl das Ausschlaggebende, wollte sie sich keine Blöße geben.

Inzwischen war Swenjas Freund an ihrem Tisch angekommen. „Hallo Susanne,“ er reichte der Frau seine Hand, wandte sich dem inzwischen aufgestandenen Schotten zu, „pleased to meet you Sir.“

„Likewise, und ich schlage das deutsche du vor,“ er wartete, bis der andere nickte, bevor er fortfuhr, „dein Vorname ist Lewan und ich vermute – du bist Armenier?“

„So wie sie … du … Engländer.“

„Also Russe denke ich eher weniger … ah … Georgier?“

„Right! Und ich weiß natürlich, dass du Schotte bist.“

„Ich bin Finne,“ erwiderte McAskill todernst.

„Ich dachte du bist Schot …“ er brach ab, weil er das breite Grinsen des Mannes sah, „ah, bin ich doch reingefallen, Revanche sozusagen?“

„Die beiden Männer,“ die Mutter nickte ihrer Tochter zu, „verstehen sich ja prachtvoll.“

„Wollen wir sie allein lassen?“ schlug Swenja vor und stand auf.

„‘Der glückliche Mann verliert seine Frau, der unglückliche sein Pferd.‘“

Die beiden Frauen sahen erstaunt zu dem jungen Mann auf.

„Altes georgisches Sprichwort,“ ergänzte er schnell, um die im Raum stehende Aussage, die ihn wohl im Nachhinein ebenfalls erschreckte, etwas zu entschärfen.

„Nichts im Leben begehrt – Mann – mehr,“ McAskill löschte mit seinen Worten den leisen Missklang, den Lews Spruch ausgelöst hatte, „als das, was ihn einerseits abrupt wegstößt, ihn ärgert, quält und wütend macht, und das ihn andererseits magisch anzieht, wie die Liebe zu einer Frau.“

„Wow!“ staunte Swenja, „von wem ist das Zitat?“

„Von einem – unbekannten alten Mann?“ antwortete der Schotte zurückhaltend.

Susanne sah nachdenklich zu Finne, schwenkte ihren Blick über Lew zu ihrer Tochter. „‘Es gibt ein Alter, in dem eine Frau schön sein muss, um geliebt zu werden. Und dann kommt das Alter, in dem sie geliebt werden muß, um schön zu sein‘, zitiert eine alte dumme Frau eine junge kluge.“

„Das klingt interessant. Komm Swenja,“ Lew hielt ihr seine Hand entgegen, „lass uns über den ersten Teil des Zitats allein diskutieren.“

„Richtig Lew, damit die zwei,“ sie nickte zu ihrer Mutter und Finne, „in Ruhe über den zweiten Teil nachdenken können.“ Die junge Frau ergriff, die ihr dargebotene Hand, und die zwei verschwanden mit einem kurzen Gruß stolzen Schrittes aus der Gaststätte.

„Ich finde beide Teile deines Zitats interessant, denn du bist auf keinen Fall alt…“

„… aber auch nicht mehr jung,“ unterbrach die Cremer. Beide setzen sich wieder an den Tisch.

„… außerdem denke ich,“ fuhr der Schotte nahtlos fort, „dass der zweite Teil wohl für alle Frauen gilt, auch wenn sich der Inhalt, der reale Ausdruck der Liebe verändert.“

„Das sehe ich ähnlich, Finne. Liebe, gerade in ihrer praktischen Form, stimuliert sowohl die Frau jeden Alters als auch den Mann. Sie lässt sie schöner erscheinen, macht ihn entschlossener und sorgt wohl bei beiden für höhere Aktivität.“

„Du bist eine kluge Frau Susanne,“ McAskill hob einen Widerspruch abwehrend eine Hand, „wenn ein Paar immer offen über die wichtigen Dinge redet, ohne tabu redet, dann hält sie das bis zum Tod in Schwung.“ Der Ton am Ende des Satzes ließ ein kleines Fragezeichen hören.

‚Meinst du damit auch Sex?‘ beinahe wäre ihr diese Frage herausgerutscht. ‚Hoffentlich meint er damit auch Sex,‘ hoffte die Cremer, ‚denn darauf habe ich in deiner Nähe mehr und mehr Lust,‘ dachte sie, aber das konnte sie so noch nicht aussprechen. Susn hob ihr volles Bierglas, das der Ober gerade abgestellt hatte, „auf den Sex …,“ die Cremer traf fast der Schlag, ‚hatte sie das etwa laut gesagt? Oh Gott!‘ „Entschuldige Finne.“ Beinahe wäre sie auch noch rot im Gesicht geworden.

„Wieso entschuldige? Susanne,“ der Mann lächelte sie an, „im Gegenteil, ich freue mich. Genau das ist doch auch damit gemeint, der Sex gehört zur Liebe, zum Leben dazu und ich denke seine Wichtigkeit nimmt im Alter keineswegs ab. Es verändern sich nur die Formen, die Art und Weise des Tuns von Sex.“

Die Cremer, immer noch auf- und angeregt, hätte beinahe das Glas auf Ex leergetrunken, fing sich aber schnell wieder, obwohl sie immer noch voller Ärger über sich selbst war, dass ihr dieser Satz unbewusst, ungewollt entschlüpft war. Sie setzte das fast leere Glas auf dem Tisch ab. ‚An sich war es wirklich nicht so schlimm, denn offensichtlich wollten sie ja beide Sex?‘

McAskill bemerkte natürlich die Erregung der Frau, war sich aber nicht sicher, was das für den weiteren Verlauf des Abends bedeutete. ‚Ärgert sie sich und macht dicht?‘ Er trank ein paar Schlucke, damit der Unterschied zu ihrem nicht ganz so deutlich ausfiel, denn sein Glas war noch fast voll. Als er es auf den Tisch stellte, war es so leer, wie das ihre. ‚Wie kann ich die Situation auflockern?‘ grübelte er, aber es fiel ihm nichts ein. ‚Vielleicht war ihre Erregung aber auch verbunden mit Lust auf Sex?‘ Plötzlich fiel ihm sein Besuch der Sitte-Galerie am Dom wieder ein, der höchstens erst einen Monat zurücklag. „Susanne, kennst du eigentlich den halleschen Maler Willi Sitte?“

‚Du bist tatsächlich klug Finne,‘ dachte die Frau, denn natürlich kannte sie den Maler Willi Sitte schon aus DDR-Zeiten und dessen erotische Bilder, in denen er fast alle sexuellen Positionen zwischen Mann und Frau dargestellt hat.

„Nein, sollte ich?“ fragte sie scheinheilig, „interessiert dich Malerei?“

„Ich interessiere mich für Literatur, Musik und Kunst und Malerei gehört auch dazu. In Merseburg gibt es die Willi-Sitte-Galerie und die habe ich mir angesehen.“ Er sah Susanne in die Augen, „die Bilder passen zu unserem Gespräch.“

„Inwiefern, Finne?“ Die Cremer sah den Mann mit großen Augen an.

„Aber davon ganz abgesehen. Ich bin dahin gegangen, weil ich empört war, wie Medien und Politiker in Halle und Umgebung mit dieser Künstler-Persönlichkeit umgehen. Sitte desertierte 1944 in Italien von der Wehrmacht und schloss sich italienischen Partisanen an. Das hat mir mächtig imponiert.“

„Und ich weiß, dass er an der Kunsthochschule Burg Giebichenstein in Halle als Professor gearbeitet hat.“

McAskill sah die Frau erstaunt an, ‚hat sie also doch schon mal von Sitte gehört,‘ fuhr dann aber fort seine Gedanken weiter darzulegen, „ja und ich habe gelesen, dass er damals ein Vertreter der aufmüpfigen, eigenwilligen Kunstszene in Halle war, die Unabhängigkeit von Kulturfunktionären forderte.“

Die Frau legte Wärme in ihre Stimme. „Interessant, dass du, als Schotte, der die DDR gar nicht gekannt hat, das sagst.“

„Ich weiß aber auch, dass er sich nicht nur mit der DDR identifiziert, sondern sogar zum Partei Zentralkomitee gehört hat. Dennoch rechtfertigt das nicht die ideologische Vehemenz, mit der gegen Ausstellungen von Sitte und anderen DDR-Künstlern gewettert wird. Eine Schlagzeile in der Bild lautete: ‚Schließung von DDR-Gemäldeausstellungen gefordert!‘ Natürlich berufen sich die Redakteure auf offizielle Stellen, wie zum Beispiel die Dokumentationsstelle des Landes zur Geschichte der Diktaturen in Deutschland. Die Beamten dort sind aggressiv, aber immer nur in eine Richtung. Mit einer derart durchgängigen Ablehnung jeglicher DDR-Kunst, macht sich diese Zeitung zum Sprachrohr reaktionärer politischer Kräfte und spielt damit in die Hände rechtslastiger Parteien und Organisationen.“

„Entschuldige Finne, aber was hat das alles mit Sex zu tun?“

Den Mann durchfuhr eine warme Welle der Zuneigung. Die Frau war phänomenal. Er hatte, während er sprach, das Gesicht seiner Gesprächspartnerin aufmerksam studiert und darin Zustimmung zu seinen Worten gelesen. Die Frau war offensichtlich keine Schwätzerin, aber diese Frage…

„Ja weißt du, Susanne,“ der Mann sah die Frau an und fuhr lächelnd fort, „das Beste wäre doch, wir besuchen zusammen diese Galerie?“

„Gute Idee Finne. – Wann?“

„Soviel ich weiß, ist die Galerie sonntags von 13 bis 17 Uhr geöffnet, okay?“

„Abgemacht!“ Sie warf McAskill einen verschmitzten Blick zu, „dann können wir ja morgen zusammen nach Merseburg fahren?“

„Ich kann im Zimmer deiner Tochter schlafen?“ Das Lächeln im Gesicht des Mannes ersparte ihr eine Antwort.

„Prost!“ sagte sie, „auf Willi Sitte, seine Gemälde und auf unseren Besuch morgen.“

„Auf uns beide, prost.“

Sonntag, 29.1. 14 Uhr, Merseburg, Willi-Sitte-Galerie

„Das,“ McAskill nickte in Richtung der Zinkografie ‚Zu Hochzeitscherz von J. Ch. Günther‘, „die Sitte als Vorlage gedient hatte, „ist bei uns gestern Nacht – nicht vorgekommen.“

„Dafür aber fast alles andere,“ Susanne schwenkte lächelnd ihren rechten Arm in Richtung der bereits hinter ihnen liegenden Zeichnungen, Radierungen und Gemälde, „was wir auf den bisherigen Bildern gesehen haben.“ Sie seufzte, „oh Gott, war das schön,“ flüsterte sie leise.

Sie gingen Hand in Hand weiter, landeten in einem Büro der Geschäftsführerin deren Tür offenstand, weil sie glaubten, dort könne es weitergehen, machten kehrt, gingen durch den Saal mit, an orientalische Märchen erinnernden Gemälden des usbekischen Malers Bahadir Yuldashev und mussten mit Bedauern feststellen, dass sie bereits alle, zurzeit hier ausgestellten Bilder von Willi Sitte, angesehen hatten.

„Die Ausstellung Anfang der achtziger Jahre war viel umfangreicher. Außerdem …“ Susanne stockte, weil ihr bewusst wurde, dass sie sich gerade lügenstrafte, denn sie hatte ja behauptet, dass sie Sitte gar nicht kennen würde. Sie drehte ihren Kopf zu Finne, aber der sah weiter auf eine schwarz-weiße Radierung, auf der ein muskulöser nackter Mann mit erigiertem Glied, vor einer ebenso nackten Frau posierte, die mit leicht gespreizten Schenkeln, hinten auf einem Planwagen hockte.

„… entschuldige Finne. . .“

Der hob nur abwehrend seine freie Hand.

„. . . natürlich kenne ich Willi Sitte,“ fuhr sie fort, „er ist für viele Ex-DDR-Bürger, nicht nur in Halle, eine wichtige Identifikationsfigur, vergleichbar mit den Autoren Stefan Heym, Peter Hacks oder Christoph Hein. Diese Künstler strahlen auch heute noch, zumindest in ihren Büchern, Aufrichtigkeit über das Leben in der DDR aus. Während viele andere versuchen, zum Beispiel durch überzogene und sich summierende Darstellungen, die Missstände in der DDR darzustellen, um damit Menschen, die sich zu diesem Staat bekennen, glauben schlecht machen zu können. Die Krönung ist, wenn sie ihnen auch noch Stasizugehörigkeit andichten können, ganz so als ob die westlichen Nachrichtendienste, die ausschließlich Guten seien, also quasi völlig harmlose Geheimdienste in der Welt wären. Ziel ist es, kein gutes Haar an dem untergegangenen Staat DDR zu lassen. Denn damit verbindet sich für den Kapitalismus der einzig erstzunehmende Gegner, der Krieg und Ausbeutung in diesem System an den Kragen will.“

„Genauso werden heute wohl auch die Orden und Preise verteilt,“ ergänzte McAskill, „wie zum Beispiel der ostdeutsche Uwe Tellkamp mit ‚Der Turm‘.“

„Dazu gehört auch Lutz Seiler mit ‚Kruso‘,“ setzte die Cremer die Aufzählung fort mit dem wohligen Gefühl, dass der Mann sie auch diesbezüglich verstand, hatte er doch mit seinen Kenntnissen zum Ausdruck gebracht, dass er sich nicht nur mit der DDR-Literatur, sondern auch dem Leben in diesem untergegangenen Land beschäftigt haben musste.

„Obwohl,“ Finne berührte Susn am Arm, um sich ihrer Aufmerksamkeit zu versichern „der Seiler schreibt in einem ausgezeichneten Deutsch.“

„Da fällt mit gleich noch Eugen Ruge ein,“ fuhr wieder die Cremer fort, „dessen Vater Deutscher, die Mutter Russin war, mit dem Roman ‚In Zeiten abnehmenden Lichts‘. Mit diesem Buch konnte ich mich sogar anfreunden. Aber echt schlimm, weil verzerrend, sind die Filme, richtige Gruselmärchen über die DDR, zum Beispiel vom Rheinländer Donnersmarck. Kein Wunder, dass gerade der von der reaktionären Filmpreisverleihung in den USA einen Oskar bekam.“

Susanne folgte dem Blick des Mannes, wandte sich ihm liebevoll flüsternd zu, „dein steifer Penis war gestern viel deutlicher, größer, schöner als der da,“ sie nickte in Richtung Grafik, „und er fühlte sich wunderbar an in meinen Händen, meinem Mund, meinem Körper…“

„Wir haben wohl wirklich alles gemacht, was ich bisher kenne, was man sexuell machen kann. Meine Zunge zwischen deinen – vier – Schamlippen . . . zum ersten Mal habe ich gesehen, dass die Vagina der Frau tatsächlich vier besitzt.“

„Ich muss dir gestehen, dass ich erst jetzt weiß, was ein Blowjob ist. Das Wort kannte ich nur aus einem Buch. Ich hätte nie gedacht, dass man damit einen Samenerguss erzielen kann.“

„Dafür hast du’s aber richtig professionell . . . Au!“ Finne stöhnte auf, weil die Frau ihm in die Rippen geknufft hatte, „. . . wundervoll, hochbefriedigend gemacht.“

„Soll ich heute nochmal . . .?“ Sie legte kurz ihre Hand an die bestimmte Stelle, denn sie waren in diesem Raum allein.

„Hast du nicht morgen Frühschicht?“

„Wie unromantisch.“ Susanne öffnete den Reißverschluss von Finnes Hose. „Dann muss ich eben gleich hier. . .“ und sie griff mit der Hand in die Öffnung.

Der Mann fasste schnell die Hand der Frau, doch die hatte das Objekt der Lust bereits gepackt, „du bist verrückt,“ stöhnte er, weil der feste Griff der Frau ihn so reizte, ja regelrecht geil machte, dass er sich nicht mehr dagegen wehrte, dass sie das bereits erigierte Glied aus dem Hosenschlitz zog. Eine Sekunde später betrat ein etwas jüngeres Paar den Ausstellungsraum. Finne wollte seine Blöße schnell verschwinden lassen, aber Susanne ließ das nicht zu. Sie zog den Mann an sich, so dass nichts Nacktes mehr zu sehen war, zeigte in Richtung einer Staffelei, auf der ein unvollendetes Bild von Sitte zu sehen war. Daneben stand ein überdimensional großes farbiges Gemälde, auf dem zwei nackte dralle Frauen zu sehen waren. „Brüste und stramme Schenkel hat der Maler offensichtlich sehr gemocht.“ Sie drehte kurz ihren Kopf zu dem Pärchen hinter ihnen, die vor einem anderen Gemälde standen, leise miteinander flüsterten und offensichtlich mit sich selbst zu tun hatten. Nur die junge Frau warf kurz einen lächelnden Blick zu Susanne und Finne.

„Kannst du erkennen, was das Bild auf der Staffelei werden sollte, Finne?“ Susanne wartete keine Antwort ab und schob während des Sprechens das Glied langsam zurück in die Hose.

Finne zog sofort, aber langsam und geräuschlos, den Reißverschluss zu. „Sag mal, wie alt sind wir doch gleich?“

„Wenn ich von meinem Befinden ausgehe, nicht über Dreißig.“ Susanne sah ihn mit leuchtenden Augen an.

„Muss wohl so sein,“ McAskill schüttelte seinen Kopf, „bisher glaubte ich in drei Jahren Sechzig zu werden.“

Die Frau hakte sich in den Arm des Mannes ein, „komm, lass uns gehen, Finne, ich bin scharf wie. . .“

„Zu dir oder zu mir?“

„Wie komme ich von hier dann zur Arbeit?“ Sie sah ihn fragend an, „mit der Straßenbahn?“

„Quatsch!“ Sie kicherte albern, „ich nehme dich natürlich mit.“

„Um fünf Uhr?“

„Na, viertel nach Fünf reicht auch, Okay?“

„Wenn wir wieder die Nacht durchmachen, dann reicht auch fünf Uhr dreißig, denn dann schwebe ich morgen auf Wolken zur Arbeit.“

„Ob das gut geht?“

„Glaubst du etwa ich kann nicht mehr zwei Nächte durchmachen?“ Sie sah den Mann – gespielt – empört an. „Schon vergessen? Dreißig und nicht fünfundfünfzig. – Oder. . .“

„Was, oder?“

„. . . oder kannst du nicht,“ sagte sie fast flüsternd, denn auf keinen Fall wollte sie den, ihr inzwischen so nahestehenden Mann, vor den Kopf stoßen. Doch wenn sie an die letzte Nacht dachte, schämte sie sich sofort. „Entschuldige, Finne, ich weiß . . .“

„. . . bei einer Sexy-Frau, wie du es bist,“ unterbrach der Mann lachend, „spielt doch das Alter des Mannes keine Rolle. Da klappt es sogar immer öfter.“

„Das stimmt,“ stellte sie entwaffnend fest, „ich bin viermal gekommen. So viel Spaß beim Sex hatte ich noch nie.“

„Das beruht auf Gegenseitigkeit, denn mir hat es genauso viel Spaß gemacht.“

„Wie schön,“ konstatierte die Cremer.

„Vielleicht schon zu schön?“

„Und wenn? – Jetzt ist es so! Jetzt genießen wir das, was ist. Jetzt ist unwichtig, was morgen sein könnte.“

Beide versanken in Gedanken an die letzte Nacht.

„Ich habe eine Idee, Finn.“

„Wir sehen uns noch einmal die erotischen Bilder an?“

„Nicht einfach so. Wir versuchen herauszufinden, wie viel Stellungen im Liebesverkehr zwischen Mann und Frau, Sitte hier skizziert hat.“

„Wunderbar. Ideen muss man haben.“

Hand in Hand zogen die beiden erneut, dieses Mal  sehr zielstrebig durch die Galerie.

Sie amüsierten sich köstlich. Dann fuhren sie voller Vorfreude zu McAskills Wohnung.

Die Ampel und das Huhn

Das Huhn Erna aus Kroppenstedt war ein besonderes Tier, denn es konnte über zwanzig Kilometer hinweg mit einer Ampel an der Kreuzung Quedlinburger-Erich Weinertstraße in Halberstadt kommunizieren. Das taten die zwei bereits seit mehreren Monaten in unregelmäßigen Abständen. Die Ampel hatte sich ihr eines Tages als Paul vorgestellt.

Erna döste entspannt im gemütlichen Garten ihrer Lieblingsfamilie Fischer vor sich hin. Gerade hatte sie der Mann des Hauses, in den sie ein bisschen verliebt war, mit ein paar leckeren Körnern verwöhnt, was sie zu wunderbaren Phantasien inspirierte. Urplötzlich wurde Erna durch einen Schrei in ihrem Kopf aus allen Träumen gerissen.

„Aua! – Was war das denn?“

„Was ist passiert Paul?“

„Du glaubst es nicht Erna mein Schatz…“

„…bin nicht dein Schatz,“ unterbrach das Huhn, „gute Freundin, mehr nicht.“

„Schon gut Erna, Freundin, hör lieber zu. Dein Liebster,“ Paul unterdrückte mit Mühe ein Kichern, „hat mein Standbein gerammt. Jetzt steh ich nicht nur schief, sondern mir ist auch noch ganz und gar wirr im Kopf.“

„Was soll das heißen?“ Erna überlegte, ob sie Paul, wegen seines unterdrückten Kicherns, das sie natürlich sehr wohl bemerkt hatte, schon wieder anmaulen sollte, ließ es dann aber bleiben. Stattdessen fragte sie, „war Jimmi mein Liebling schuld?“

„Geduld, Geduld, mir ist zwar noch ein bisschen schummrig, meine drei Augen klappen gerade auf und zu, wie ihnen zumute ist, nichtsdestotrotz werde ich dir gleich alles erzählen. Muß bloß noch mal gucken… ich fasse es nicht, Erna, das glaubst du nicht, weißt du wer Schuld hat?“

„Bin ich der Hahn auf dem Mist?“

„Na ja, sie ist nicht direkt schuld, aber…“

„Nu mach‘s doch nicht so spannend. Wer ist…“

„…deine Konkurrentin Erna.“

„Du spinnst. Du bist ja wirklich nicht ganz klar im Kopp Paul. Obwohl… fast gönn ich ihr das.“

„Sei nicht so gehässig Erna. Eigentlich kann sie nichts dafür, aber eins ihrer Küken ist zurück auf die Straße gerannt, weil es ein Blättchen verloren hatte.“

„Was denn für ein Blättchen?“

„Na so ‘ne kleinen leichten Dinger, Blätter eben, wie ich schon sagte. Stell dich nicht so an Erna.“

„Is ja gut Paul. Claudi ist Lehrerin, sie arbeitet viel mit Blättern. – Und wie gings weiter, mit dem Unfall?“

„Claudi,“ sagte Paul spöttisch, „du nennst sie genauso, wie dein Geliebter sie nennt? – Na mir egal. Also die Kleine rennt zurück, direkt auf den anrollenden Laster zu. Es hätte sie eigentlich erwischen müssen, doch dein Geliebter, scheinbar nicht nur ein guter Fahrer, sondern auch reaktionsschnell – ich sehe förmlich, wie du dich in deine Hühnerbrust schmeißt Erna – denn er bremste und riss gleichzeitig das Steuer herum, was die Kleine rettete, aber mir halt mein schiefes Standbein einbrachte.“

„Manchmal kannst du richtig beleidigend sein Paul. Wirklich. Doch das ist unwichtig. Viel wichtiger ist: Was ist mit meinem Jimmi?“

„Der scheint ebenfalls unverletzt zu sein. Du kannst wieder weiteratmen Erna.“

„Da fällt mir ja ein Stein vom Herzen. Jimmi ist doch ein prachtvoller Mann, Paul. Findest du nicht auch?“

„Der ist doch viel zu… na ja, aber sonst hast du schon recht, Erna.“

„Kann ja nicht jeder so schlank sein wie du.“

„Woher willst du denn wissen, wie schlank ich bin?“

„Genauso wie du weißt, wie ich aussehe. Deine Beschreibungen von dir sind diesbezüglich ziemlich aussagekräftig.“

„Wann habe ich mich denn beschrieben?“

„Mindestens in jedem Gespräch einmal. Und auch wenn ich von diesem Bild Abstriche machen muss, eins steht fest: schlank bist du.“

„Oh! Jetzt kommen die Blauen. Jetzt geht’s deinem Geliebten an den Kragen.“

„Quatsch du Dreiäugiger. Jimmi ist doch unschuldig.“

„Ob die Blauen das auch so sehen Erna?“

„Na klar Paul. Denk lieber mal an Dich. Die werden auf alle Fälle dafür sorgen, dass du wieder in Ordnung kommst.“

„Da kannst du recht haben, Erna, bist scheinbar ein schlaues Köpfchen.“

„Nicht so klug, wie mein Liebling. Genug. Was ist mit dem Mädchen?“

„Unversehrt, sagte ich doch schon.“

„Sonst noch was passiert?“

„Die Blauen haben die ganze Zeit irgendwas aufgeschrieben. Ah! Jetzt scheinen sie fertig zu sein. Sie lassen deinen Jimmi scheinbar weiterfahren, wobei sie ihm sogar behilflich sind, damit er sich reibungslos in den Verkehr einordnen kann. Claudi ist mit ihrer Gruppe bereits verschwunden. – Ich frage mich, was die Blauen hier noch wollen. Die versperren nach wie vor die halbe Straße. Sie warten scheinbar auf irgendwas oder irgendwen?“

„Vielleicht kommt noch ein Spezialist, der sich um dich kümmert?“

„Kein schlechter Gedanke Erna. Es wäre schon schön, wenn ich wieder richtig gucken und schalten könnte.“

Es vergingen ein paar Minuten, Erna schwieg und wartete. Es interessierte sie sehr, ob ihr Freund schnell wieder richtig gesund werden könnte.

„Der Spezialist kommt. He Erna, da steigen gleich zwei Leute aus dem Auto.“

„Hört sich doch gut an Paul. Halt mich auf dem Laufenden.“

„Klar. Die zwei schreiten scheinbar sofort zur Tat. Der eine öffnet die Tür von Schaltschrank. Jetzt steckt der andere seinen Ko….“

„Paul was ist los? … die Verbindung… verflucht, sie ist… sie ist … tot?“

Erna erschrak heftig. Würde sie je wieder mit Paul kommunizieren können?

In der Menschenwelt klang die Darstellung dieses Ereignisses so:

Die Ampel zeigte rot/gelb-grün. Fünfzig Meter davor, bremste  der LKW-Fahrer den Zwölftonner leicht ab. Mit knapp 30 Kilometer pro Stunde rollte er auf den Fußgängerüberweg zu. Eine Gruppe sechzehnjähriger Mädchen und Jungen hatten dort gerade die Straße überquert. Die Straße war frei, die Ampel grün, dennoch tippte der Fahrer vorsichtig erneut auf  die Bremse. Plötzlich machte eine Schülerin blitzartig kehrt, rannte, trotz roter Ampel, zurück, direkt auf das große Auto zu. Spontan trat der Chauffeur auf die Bremse, riss das Lenkrad nach rechts, touchierte mit der rechten Seite des Fahrerhauses die Ampel. Der LKW stand. Das Mädchen stand unverletzt mit aufgerissenen Augen auf der Straße. Auch der Fahrer schien, unverletzt zu sein. Lediglich die Karosse des Lasters hatte eine Delle bekommen. Am stärksten hatte es wohl die Ampel getroffen.

Der Kraftfahrer stieg nervös aus dem Fahrerhaus aus, ging schnell auf das Mädchen zu, „ist dir etwas passiert?“

„N-nein…“

„Was ist denn los Lina. Warum bist du zurückgerannt?“ Eine hübsche Frau, scheinbar die Leiterin der Gruppe, kam schnell auf die beiden zu, legte eine Hand auf die Schulter des Mädchens, „ist alles okay…bei dir?“ Dann sah sie zum Fahrer, „was machst du denn hier?“

„Schutzengel?“ Der Fahrer hatte seine Frau längst erkannt, „sieht man das nicht?“

„Blödmann,“ sie winkte ab, wandte sich wieder dem Mädchen zu, „Lina dann komm… bist du wirklich…“

„Ja, ja Frau Fischer… ich hatte nur den Zettel verloren.“

„Was für einen Zettel?“

„Ist geheim,“ warf der Fahrer ein.

„Halt du dich da raus.“ Die Frau führte das Mädchen von der Straße, drehte sich dann plötzlich um, „Bist du auch okay? – Was ist mit deinem Auto?“

Der Gefragte winkte lässig ab. „Ihr müsst ohnehin noch warten… Da,“ der Fahrer zeigte die Straße aufwärts, von wo sich zügig ein Polizeiauto mit Blaulicht näherte, „kommt sie ja schon.“

Der Fahrer hatte, kurz bevor er ausgestiegen war, die Polizei informiert, vorsichtshalber mit Krankenwagen, der aber noch nicht hier angekommen war. Obwohl dem Mädchen nichts passiert war, würden Sanitäter oder Arzt nicht darauf verzichten wollen, sich das Unfallopfer anzusehen, um selbst entscheiden zu können, ob versehrt oder unversehrt.

„Schau doch mal Kevin, wer da auf uns wartet.“ Der Polizeihauptmeister stupste vom Beifahrersitz aus seinen Kollegen, einen Polizeimeister, an den Arm.

„Ist das nicht der…“

„Genau der mit dem ‚sprechenden‘ Huhn.“

Beide Polizisten lachten amüsiert.

„Und sieh mal da,“ der Polizeihauptmeister streckte den rechten Arm aus, „die Ampel, sie schaltet in irgendeinem unregelmäßigen Rhythmus zwischen Grün – Gelb – Rot – Rot/Gelb – Grün hin und her.“

„Zum Glück haben die anderen Autos vorerst angehalten.“

„Die lustige Ampel passt zum sprechenden Huhn.“ Der Polizeimeister tippte sich an die Stirn, „vielleicht kommunizieren die miteinander?“

„Du musst sofort den Verkehr regeln Kevin.“

„Schon gut Franz.“

Amüsiert lachend stiegen die beiden aus. Der eine übernahm sofort die offizielle Sperrung der Unfallstelle, während der Ranghöhere sich zuerst das Mädchen ansah. „Bist du verletzt?“

„Nein, nein,“ antwortete Lina hastig, „ich habe doch selber schuld,“ fuhr sie ruhiger fort, „ich bin, ohne aufzupassen trotz Rot auf dem Überweg zurückgerannt. Außerdem, ich bin gar nicht mit dem Auto in Kontakt gekommen.“

Der Polizist wandte er sich der Lehrerin zu, „Polizeihauptmeister Franz Müller. Frau Fischer, sie sind Augenzeugin?“

„Nicht direkt,“ antwortete die Frau überlegend, „erst als die Bremsen quietschen, habe ich mich umgedreht und sah Lina mitten auf der Straße direkt von dem 12-Tonner stehen, obwohl wir bereits alle auf dem Gehweg angekommen waren.“

„Bitte halten sie sich alle noch zur Verfügung,“ sagte der Polizeihauptmeister, „der NRW wird sicher gleich eintreffen. Der Arzt will sich die Kleine sicher ansehen.“

„Natürlich Herr Wachtmeister.“

Der Polizist nickte der Frau zu, bevor er sich dem Fahrer zuwandte. „Herr Fischer was haben wir denn nun wieder gemacht!“

Der Fahrer schwieg, denn wie eine offizielle Frage klang das nicht.

„Hat der Anblick ihrer Frau sie so geschockt?“ Er grinste, „Spaß beiseite, was ist passiert?“

Der Fahrer schilderte den Vorfall genauso, wie er ihn erlebt hatte.

„Wie groß ist der Schaden am Auto?“

„Nur die Karosserie des Führerhauses ist ein wenig eingedrückt.“

„Na und die Ampel steht schief,“ fügte der Polizeihauptmeister hinzu.

„Ist mir noch gar nicht aufgefallen.“ Der Fahrer sah zur Ampel.

„Und die Elektronik ist durcheinandergeraten,“ der Polizist zeigte in Richtung Ampel.

„Tatsächlich. Sieht ja lustig aus.“ Der Fahrer schüttelte lächelnd seinen Kopf.

verfasst von Max Balladu

Das Mausoleum

Zur Beerdigung kamen viele Prominente in das Haus des Betroffenen, der den Verlust der Verstorbenen betrauerte. Er hatte die Beisetzung auf seinem Privatbesitz veranlasst. Für Musik und ein zünftiges Gelage war gesorgt. Eine tief bewegende Leichenrede hielt der Freund des trauernden Künstlers. Der Hausherr, selbst ein Dichter, trug zu diesem Anlass von ihm verfasste Gedichte vor. Anschließend wurde die sterbliche Hülle der Toten in ein eigens auf dem Grundbesitz des Dichters errichtetes Mausoleum untergebracht.

Die Verstorbene war – eine Schmeißfliege – das Lieblingshaustier des trauernden Dichters.

Das Ganze war ein riesiges Gaudium.

Die seltsame Bestattung in einem Mausoleum fand   50 v. Chr. statt. Der Spaß kostete den Dichter Vergil (*70, †19 v. Chr.), Verfasser der ‚Äneis‘, 800 000 Sesterzen (der Wert entspricht 1 Euro).

Es war jene Zeit des zweiten Triumvirats von Oktavian, Lepidus und Marcus Antonius. Die Herrscher des antiken Rom planten den Grundbesitz der Reichen zu beschlagnahmen, um ihn unter Kriegsveteranen zu verteilen.

Als das Gesetz dann in Kraft trat, machte Vergil Sonderrechte geltend, da sich auf seinem Grund und Boden ein Mausoleum befände.

Dem Antrag wurde stattgegeben!

 

Lochen Sie nicht!

oder

Zur soziologischen Psychologie der Löcher

Kaspar Hauser, Die Weltbühne, 17.03.1931, Nr. 11, S. 389; in: Lerne Lachen

Ein Loch ist da, wo etwas nicht ist.

Das Loch ist ein ewiger Kompagnon des Nicht-Lochs: Loch allein kommt nicht vor, so leid es mir tut. Wäre überall etwas, dann gäbe es kein Loch, aber auch keine Philosophie und erst recht keine Religion, als welche aus dem Loch kommt. Die Maus könnte nicht leben ohne es, der Mensch auch nicht: es ist beider letzte Rettung, wenn sie von der Materie bedrängt werden. Loch ist immer gut.

Wenn der Mensch ›Loch‹ hört, bekommt er Assoziationen: manche denken an Zündloch, manche an Knopfloch und manche an Goebbels.

Das Loch ist der Grundpfeiler dieser Gesellschaftsordnung, und so ist sie auch. Die Arbeiter wohnen in einem finstern, stecken immer eins zurück, und wenn sie aufmucken, zeigt man ihnen, wo der Zimmermann es gelassen hat, sie werden hineingesteckt, und zum Schluß überblicken sie die Reihe dieser Löcher und pfeifen auf dem letzten. In der Ackerstraße ist Geburt Fluch; warum sind diese Kinder auch grade aus diesem gekommen? Ein paar Löcher weiter, und das Assessorexamen wäre ihnen sicher gewesen.

Das Merkwürdigste an einem Loch ist der Rand. Er gehört noch zum Etwas, sieht aber beständig in das Nichts, eine Grenzwache der Materie. Das Nichts hat keine Grenzwache: während den Molekülen am Rande eines Lochs schwindlig wird, weil sie in das Loch sehen, wird den Molekülen des Lochs … festlig? … Dafür gibt es kein Wort. Denn unsre Sprache ist von den Etwas-Leuten gemacht; die Loch-Leute sprechen ihre eigne.

Das Loch ist statisch; Löcher auf Reisen gibt es nicht. Fast nicht.

Löcher, die sich vermählen, werden ein Eines, einer der sonderbarsten Vorgänge unter denen, die sich nicht denken lassen. Trenne die Scheidewand zwischen zwei Löchern: gehört dann der rechte Rand zum linken Loch? oder der linke zum rechten? oder jeder zu sich? oder beide zu beiden? Meine Sorgen möcht ich haben.

Wenn ein Loch zugestopft wird: wo bleibt es dann? Drückt es sich seitwärts in die Materie? oder läuft es zu einem andern Loch, um ihm sein Leid zu klagen – wo bleibt das zugestopfte Loch? Niemand weiß das: unser Wissen hat hier eines.

Wo ein Ding ist, kann kein andres sein. Wo schon ein Loch ist: kann da noch ein andres sein?

Und warum gibt es keine halben Löcher –?

Manche Gegenstände werden durch ein einziges Löchlein entwertet; weil an einer Stelle von ihnen etwas nicht ist, gilt nun das ganze übrige nichts mehr. Beispiele: ein Fahrschein, eine Jungfrau und ein Luftballon.

Das Ding an sich muß noch gesucht werden; das Loch ist schon an sich. Wer mit einem Bein im Loch stäke und mit dem andern bei uns: der allein wäre wahrhaft weise. Doch soll dies noch keinem gelungen sein. Größenwahnsinnige behaupten, das Loch sei etwas Negatives. Das ist nicht richtig: der Mensch ist ein Nicht-Loch, und das Loch ist das Primäre. Lochen Sie nicht; das Loch ist die einzige Vorahnung des Paradieses, die es hienieden gibt. Wenn Sie tot sind, werden Sie erst merken, was leben ist. Verzeihen Sie diesen Abschnitt; ich hatte nur zwischen dem vorigen Stück und dem nächsten ein Loch ausfüllen wollen.

Verfasst von Kurt Tucholsky alias Kaspar Hauser.